epd: Frau Fehrs, die katholische Bischofskonferenz hat in der vergangenen Woche eine Übereinkunft mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung betroffen, was gibt es bei der EKD Neues?
Kirsten Fehrs: Wir arbeiten derzeit intensiv daran, die Aufarbeitungsstudien in Auftrag zu geben. Wir wollen mit einem interdisziplinär aufgestellten Forschungsverbund zusammenarbeiten. Denn es sind nicht nur juristische, sondern auch kriminologische, psychologische und historische Aspekte zu betrachten. Wir sind jetzt mit einem Forschungsverbund im Gespräch und hoffen, dass wir uns bis zum Sommer einigen können und dann am 1. Oktober mit den Studien starten können. Wichtig ist dabei, dass wir immer die Gründlichkeit vor die Schnelligkeit setzen. Die Frage einer weitgehenden Ermöglichung von Akteneinsicht ist etwa gerade noch in der Klärung, weil das datenschutzrechtlich kompliziert ist.
Sie sprechen von mehreren Studien. Wie viele wollen Sie denn insgesamt machen?
Fehrs: Der unabhängig arbeitende Forschungsverbund plant vier oder fünf Teilstudien zu Einzelaspekten, beispielsweise zu der Frage, wie täterschützende Strukturen sich etablieren oder wie sexualisierte Gewalt sich auf die Biografie der Betroffenen auswirkt. Außerdem soll es eine Metastudie geben, die sowohl bereits vorliegende Einzelstudien von Landeskirchen als auch die Teilstudien zusammenführt. Wir wollen mit den Studien klären, was zum Beispiel im Unterschied zur katholischen Kirche bei uns besondere Risikofaktoren für Missbrauch sind, etwa in Bezug auf Kinder- und Jugendarbeit, Jugendfreizeiten und Pfadfinderarbeit. Wir planen, binnen drei Jahren zu Ergebnissen zu kommen, sofern man das von heute aus sagen kann. Denn das ist in wissenschaftlichen Zeithorizonten äußerst knapp bemessen.
Wie wollen Sie Betroffene an der Aufarbeitung beteiligen?
Fehrs: In der Auswahlkommission für die Studien sitzen auch Betroffene. Außerdem ist geplant, dass betroffene Menschen die Studien inhaltlich begleiten und Zwischenergebnisse mit den Wissenschaftlern diskutieren. So ist zum Beispiel die Aufarbeitung der Auswirkung von Missbrauch auf die Biografie der Betroffenen ohne deren Mitwirkung nicht möglich.
Wie ist der Stand bei dem geplanten Betroffenenrat, der die Arbeit des EKD-Beauftragtenrates begleiten soll?
Fehrs: Der Betroffenenbeirat sollte nach unseren ursprünglichen Plänen im Mai seine Arbeit aufnehmen. Leider sind wir noch nicht soweit. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen hatten wir bis zum Ablauf der ersten Bewerbungsfrist Ende Januar noch nicht genug Bewerbungen für die vorgesehene Zahl von zwölf Mitgliedern. Daraufhin haben wir gezielt nochmal unter Betroffenen geworben und die Bewerbungsfrist auf März verlängert. Jetzt sind wir soweit, dass eine Auswahlkommission die Mitglieder auswählen kann. Darin sind auch Mitglieder von Fachberatungsstellen und Betroffenen vertreten. Doch Corona macht unsere Pläne da zunichte. Wir können gerade keine Gespräche mit Bewerbern führen. Ein solch sensibles Thema sollte man nicht in einem Videocall klären. Diese Gespräche soweit irgend möglich müssen persönlich geführt werden. Wir planen, dass die Mitglieder des Betroffenenbeirats bis Ende Juli feststehen.
Die Bischofskonferenz hat Anfang März auf ihrer Vollversammlung einen finanziellen Rahmen für Entschädigungsleistungen festgelegt. Wie weit sind Sie bei diesem Thema?
Fehrs: Wir halten an dem Prinzip der individuellen Aufarbeitung fest, wie wir sie in unserem Aufarbeitungskonzept, dem Elf-Punkte-Plan, festgelegt haben. In diesem Rahmen werden materielle Leistungen gemeinsam mit den Betroffenen festgelegt. So ist es in vielen Landeskirchen bisher geschehen. Es gibt unter den Landeskirchen jedoch eine erhebliche Bandbreite, was die Höhe der Anerkennungsleistungen angeht, die seit 2010 gezahlt wurden. Wir haben uns mit den Landeskirchen jetzt auf Rahmenpunkte geeinigt. Wir müssen diesen Teil der Aufarbeitung jetzt in den Landeskirchen synchronisieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir bis zur Synode im November dazu etwas vorlegen können, was mit den Landeskirchen abgestimmt ist.
Wie lauten die Rahmenbedingungen, auf die sich die Landeskirchen geeinigt haben?
Fehrs: Wir haben uns bewusst gegen pauschale Anerkennungsleistungen entschieden, da ja auch das Leid, das betroffene Menschen erlebt haben und immer noch erleben, sehr unterschiedlich ist. Jedes Modell, das der pauschalen und der individuellen Leistung hat seine Vor- und Nachteile. Vor allem aber möchten wir nicht, dass Menschen in eine Beweislast kommen. Deshalb benutzen wir den Begriff der Entschädigung nicht, weil er juristisch mit einer Beweisführung der Betroffenen verbunden ist. Das ist nicht nur belastend für betroffene Menschen, sondern auch in vielen Fällen nicht mehr nachvollziehbar, weil es ein Charakteristikum des erlittenen Traumas sein kann, dass man sich an Tathergänge, die oft lange zurückliegen, nicht mehr detailliert erinnern kann.
Wie sollen Ansprüche dann geklärt werden?
Fehrs: Wir setzen da lediglich auf eine Plausibilitätsprüfung. Die erfolgt in den unabhängigen Aufarbeitungskommissionen. Letzter Punkt ist die Feststellung einer Summe. Wir haben die unabhängigen Kommissionen, die es ja seit 2010 bereits gibt, befragt, wie sie zu der Höhe der jeweiligen Anerkennungsleistungen gekommen sind. Daran wollen wir uns orientieren, zumal die sich wiederum zwar nur sehr grob, aber auch an den rechtlichen Schmerzensgeldregeln im höheren Bereich orientiert haben.