Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Friedensforscher Ulrich Schneckener sieht 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einer zunehmend auf Konfrontation ausgerichteten Politik von Großmächten wie den USA, Russland und China eine neue Bedrohung für den Weltfrieden. Während Probleme wie die Klimakrise, die Migration oder auch eine Pandemie wie Corona sich weltweit ausbreiteten, betrieben Staaten wie China und die USA geopolitische Machtspiele und stellten nationalstaatliche Interessen in den Vordergrund, sagte Schneckener dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Darin sehe ich ein erhebliches Konflikpotential, das durch zunehmende militärische Aufrüstung und die Nutzung neuer Technologien verschärft wird."
Globale Probleme erforderten eigentlich international abgestimmte Reaktionen und eine konstruktive Zusammenarbeit, sagte der Direktor des Zentrums für Demokratie und Friedensforschung an der Universität Osnabrück: "Obwohl solche Herausforderungen, ja Menschheitsfragen, an Dringlichkeit zugenommen haben, erleben wir einen Abbau an politischen Lösungskapazitäten auf globaler Ebene." Stattdessen versuchten schon seit einigen Jahren größere und mittlere Mächte primär die eigene Bevölkerung zu schützen, an Einfluss zu gewinnen und für sich Vorteile herauszuschlagen. "Da waren wir in den 1990er Jahren schon mal weiter."
Auch innerhalb der EU greife diese Sicht der Dinge zunehmend um sich, beklagte Schneckener: "Nach dem Motto 'Grenzen dicht, Rolladen runter' versuchen sich manche vor Krisen zu schützen, die vermeintlich von außen auf uns zukommen." Nicht zuletzt rechtspopulistische Kräfte versuchten, mit dieser Strategie zu punkten. "Und zu viele Menschen glauben, dass das funktionieren kann."
Gerade zu Beginn der Corona-Krise hätten viele Staaten und auch Deutschland reflexartig versucht, vor allem sich "selbst zu retten". Das gelte etwa für die teils unabgestimmte Schließung von Schengen-Grenzen oder das verhängte Exportverbot von Schutzkleidung, erläuterte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Allerdings sei sehr schnell offenbar geworden, dass damit großer politischer Schaden angerichtet werde.
Gegenseitiges Vertrauen, das im Umgang mit globalen Krisen zwingend nötig wäre, könne so nicht aufgebaut werden, warnte Schneckener. "Die Gefahr ist groß, dass das Niveau an Kooperation und Integration, das sich Europa erarbeitet hat, wieder verloren geht." Auf globaler Ebene sehe es noch kritischer aus. Die Vereinten Nationen fielen als Ordnungsfaktor schon seit geraumer Zeit aus. Der UN-Generalsekretär sei praktisch ohne Einfluss, der Weltsicherheitsrat durch die widerstreitenden Interessen der Mitglieder blockiert. Aufgrund der erheblichen Differenzen zwischen den Europäern und der Trump-Regierung falle auch "der Westen" als Garant für einen auf Regeln basierten Multilateralismus aus.