TV-Tipp: "Ich brauche euch" (ZDF)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Ich brauche euch" (ZDF)
11.5., ZDF, 20.15 Uhr
Geschichten wie diese werden gern als Komödie erzählt, dabei sind sie im Grunde tieftraurig: Als aus heiterem Himmel ein Elternpaar stirbt, muss sich ein Hinterbliebener um die Kinder kümmern. Protagonist dieser Filme ist auffallend oft ein Onkel, der bis dahin ein ungebundenes Playboyleben geführt hat.

"Plötzlich Papa" ist längst ein eigenes Subgenre; vermutlich gehen die Autoren davon aus, dass Tanten selbstverständlich mütterliche Gefühle entwickeln würden. Max Färberböck, 1994 für den "Bella Block"-Auftakt mit dem Grimme-Preis geehrt, und seine Koautorin Catharina Schuchmann gehen "Ich brauche euch" jedoch ganz anders an, und das nicht nur, weil diesmal eine Schwester im Mittelpunkt steht. Die Handlung beginnt mit einem Fest zum Hochzeitstag. Markus und Sabine Bach (Fritz Karl, Judith Engel) sind 23 Jahre verheiratet, lieben sich aber offenbar wie am ersten Tag. Wenn ein Drama derart idyllisch beginnt, ist der Abgrund meist nur einen Schnitt weit entfernt. Tatsächlich wird das Haus über Nacht zum Schauplatz eines Verbrechens: Markus hat seine Frau umgebracht, und niemand weiß, warum.

Wichtigster Motor jedes Krimis neben der Suche nach dem Täter ist in der Regel die Frage nach dem Motiv. Diese Antwort bleiben Färberböck und Schuchmann - das Duo ist auch Schöpfer des Nürnberger "Tatort"-Teams - bis zum Schluss schuldig; allerdings ist "Ich brauche euch" ja auch kein Krimi. Nach der Verhaftung von Markus wird die Geschichte im Wesentlichen aus der Perspektive des Sohnes erzählt. Jan ist 14, geht aber erstaunlich abgeklärt mit der Tragödie um, und das entpuppt sich als Problem, jedenfalls für den Film: Elias Eisold spielt das vorzüglich, doch er versieht Jan mit einer Unnahbarkeit, die es fast unmöglich macht, sich mit ihm zu identifizieren. Das leicht ätherische Spiel hat zur Folge, dass die Figur in der Schwebe bleibt, weil keine Gefühle nach außen dringen; auf exakt die gleiche Weise könnte Eisold auch einen jugendlichen Mörder verkörpern.

Zweites Problem ist die weibliche Hauptdarstellerin. Dass Single Silvi von der Situation überfordert ist und keine Antworten auf typische Kinderfragen hat ("Ist Mama im Himmel?"), ist absolut nachvollziehbar. Mavie Hörbiger muss ihre Tantenrolle jedoch derart distanziert auslegen, als trüge sie auf der Stirn einen Stempel "Kein Herz für Kinder". Das hat Färberböck natürlich so gewollt: Fast den gesamten Film lang kommt es zu keiner einzigen nennenswerten Berührung zwischen der Tante und ihrem Neffen oder seiner wortkargen Schwester. Die einzige Person in dieser Geschichte, die so etwas wie Herzlichkeit verströmt, ist Silvis Freund Alex (Fabian Hinrichs, Färberböcks Hauptdarsteller im Franken-"Tatort"), weshalb es prompt ins Bild passt, dass sie ihm irgendwann den Laufpass gibt.

Ähnlich wie die "Plötzlich Papa"-Filme (oder in diesem Fall "Plötzlich Mama") muss es natürlich aller emotionalen Zurückhaltung zum Trotz irgendwann zu einer Annäherung kommen, sonst würde sich die Handlung ja nicht vom Fleck bewegen. In den Komödien wird dieser Prozess regelmäßig sehr nachvollziehbar geschildert. In "Ich brauche euch" funktioniert das weniger gut, weil das Drehbuch die Geschichte sehr episodisch konzipiert. Anstelle einer gängigen Drei-Akt-Struktur gibt es viele einzelne Kapitel. Auf diese Weise wird beispielsweise der strenge Großvater zu einer Art Episodenhauptdarsteller. Abgesehen von einem kurzen Moment auf dem Friedhof wirkt der Österreicher Heinz Trixner nur in dieser einen Szene mit, aber er entwickelt in den wenigen Minuten mehr Präsenz als Hörbiger im ganzen Film. Sie hat zwar ebenfalls einen langen Monolog, aber der wirkt sehr bühnenhaft.

Dass sich der charakterliche Wandel der Hauptfigur nicht vermittelt, hat auch viel damit zu tun, dass sie viel zu sehr in sich verkapselt ist. Silvi ist Mode-Designerin und Besitzerin einer eigenen Firma, entspricht aber viel zu sehr der flatterhaften Oberflächlichkeit, die ihrer Branche gern nachgesagt wird; zur Familie ihrer Schwester hatte sie seit Jahren keinen Kontakt mehr. Immerhin ändert sich das negative Bild etwas, als sie zu ihrer Verblüffung erfährt, dass Sabine trotzdem immer nur gut über sie gesprochen hat. Das Denkmal, auf dem Jan seine Mutter verehrt, erhält allerdings Risse, als er einige Wahrheiten erfährt, die ihn seine Eltern in ganz anderem Licht sehen lassen. Nun kommt auch der nach dem Prolog aus der Handlung verschwundene Markus wieder ins Spiel, als Jan ihn gegen Ende des Films im Gefängnis besucht.

Interessant ist allerdings die Bildgestaltung, weil die beiden Kamerafrauen Daniela Knapp und Katja Rivas Pinzon ihr Arbeitsgerät anscheinend über weite Strecken auf den Boden gelegt haben: Gerade in wichtigen Dialogszenen werden die handelnden Figuren aus der Untersicht gefilmt, was beispielsweise den ohnehin großgewachsenen Trixner erst recht überlebensgroß erscheinen lässt. Bemerkenswert ist auch eine lange Kamerafahrt, als Jan nur scheinbar ziellos durch die Straßen der Stadt wandert und dabei liebevolle Sprachnachrichten seiner Mutter hört. Die Szene gehört zu den stärksten des Films, zumal Färberböck sie sehr treffend mit dem überaus melancholischen Lied "So Far" des isländischen Musikers Ólafur Arnalds unterlegt hat: Der Junge sucht ein Bestattungsinstitut, um die Beerdigung zu organisieren.