Dabei wirkt die Handlung vordergründig auf den ersten Blick sogar eher schlicht: Ein Mann verschanzt sich mit mehreren Geiseln in einem Gerichtssaal; er will zwei Millionen Dollar und einen Fluchthubschrauber. Obwohl die Nerven aller Beteiligten bis zum Zerreißen gespannt sind, scheint der Verbrecher auf Zeit zu spielen. Die Erklärung für sein Verhalten ist ebenso verblüffend wie abgefeimt.
Nach einem eher enttäuschenden Auftakt ("Borcherts Fall", 2016) hat sich der von der ARD-Tochter Degeto verantwortete "Zürich-Krimi" zu einer erstklassigen Adresse entwickelt. Das hat zum einen mit Wolf Jakoby zu tun, der seit dem zweiten Film ("Borcherts Abrechnung", 2016) alle Drehbücher geschrieben hat; und zum anderen mit Roland Suso Richter, der die Reihe handwerklich mit "Borchert und die letzte Hoffnung" (2018), einer berührenden Geschichte über Sterbehilfe, auf ein neues Niveau gehoben hat. Inhaltlich kann sich Jakoby dank der Vielfältigkeit des Anwaltsberufs mit immer wieder anderen Themen befassen, zumal er gern in die Irre führt; in "Borchert und die mörderische Gier" (2019) zum Beispiel ging es nur dem Anschein nach um Islamismus. "Borchert und der Sündenfall" (2019) führte den Titelhelden (Christian Kohlund) und seine Kollegin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) ins Rotlicht-Gewerbe. Der Film war ein Hochglanz-Thriller, die Geschichte entpuppte sich als finsteres Komplott. Beides gilt auch für "Borchert und die tödliche Falle".
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dabei beginnt alles ganz harmlos: Der Anwalt hat für seine Kanzleipartnerin und deren Vater Reto Zanger (Robert Hunger-Bühler), Bœuf Stroganoff gekocht, aber die beiden müssen noch vor dem Essen überstürzt aufbrechen. Zanger, ebenfalls Anwalt, wird bei einer milliardenschweren Firmenübernahme benötigt; seine Tochter soll ihn Tags drauf bei Gericht vertreten, es geht um die vorzeitige Entlassung eines Mandanten – und dann beginnt nach wenigen Filmminuten am nächsten Morgen bereits das Finale: Zangers Mandant, Alexander Böni (Golo Euler), nimmt mit Hilfe eines versteckten Revolvers sämtliche Anwesenden als Geiseln. Derweil versucht Borchert, mehr über den Täter herauszufinden, zumal es offenkundige Irritationen gibt: Böni ist wegen Raubüberfalls und schwerer Körperverletzung verurteilt. Seine Chancen auf Haftverschonung wegen guter Führung standen jedoch gut; warum also die Geiselnahme? Erst recht verwirrend ist eine Information, die Borchert von einem Mithäftling Bönis erhält: Der Mann wusste früher als Dominique, dass sie ihn vertreten würde; wie kann das sein? Die Anwältin wiederum entdeckt im Gerichtssaal eine versteckte Kamera. Irgendjemand will die ganze Zeit über die Ereignisse im Gerichtssaal auf dem Laufenden bleiben. Aber warum? Und was hat ihr Vater mit der ganzen Sache zu tun?
Schon das Handlungsgerüst ist von beeindruckender Raffinesse, zumal Jakoby das ohnehin hochgradig fesselnde Geschehen mehrfach zugespitzt, als etwa ein allzu eifriger TV-Journalist seine Neugier mit dem Leben bezahlen muss oder Dominiques Freund Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) eine Kollegin gegen die ausdrückliche Anweisung seines Chefs (Thomas Kügel) auf eine tödliche Mission schickt. Natürlich sorgen auch die Geiseln dafür, dass immer wieder irgendwas passiert. Die Geschichte ist so gut, dass es womöglich nicht mal der besonderen Fähigkeiten Richters bedurft hätte, um einen guten Film daraus zu machen; aber der Regisseur veredelt sie. Dafür steht nicht zuletzt Max Knauer. Gemeinsam mit dem Kameramann hat Richter auch seine bisherigen "Zürich-Krimis" umgesetzt. Die Bildgestaltung war jedes Mal herausragend, doch diesmal haben die beiden sich selbst übertroffen. Die vielen schnellen Perspektivwechsel zeigen, dass Richter viel Material gehabt haben muss. Das Gespür für den richtigen Moment ist zudem perfekt: Wenn es die Handlung erfordert, wird die Schnittfrequenz deutlich höher (aber nicht hektisch); wenn Böni in Panik verfällt, wird auch die Kamera selbst agil. Mal pirscht sich Knauer ganz nah an die Protagonisten heran, mal filmt er mitten ins Licht, was immer riskant ist; aber in diesem Film passt einfach alles.
Nicht minder bedeutsam ist die Führung der Schauspieler, die einerseits die Dynamik der Situation aufnehmen müssen, andererseits aber nicht übertreiben dürfen. Golo Euler spielt also in mehrfacher Hinsicht eine Schlüsselrolle. Natürlich schreit Böni viel, aber das ist wegen des Adrenalins, das ihn durchströmt, völlig glaubwürdig. Gegenentwurf zum Geiselnehmer ist Dominiques Vater, der angesichts der Ereignisse, über die ihn Borchert informiert, wie erstarrt wirkt. Robert Hunger-Bühler muss gar nicht viel tun, um zu vermitteln, dass der mit allen juristischen Abwassern gewaschene Zanger diesmal seinen Meister gefunden hat. Und weil Christian Kohlund die Titelfigur mit großem Charisma verkörpert, klingt aus seinem Mund (und erst recht mit dieser Stimme) selbst seine Schlusserkenntnis nicht prätentiös: "Auch der Schatten ist ein Kind des Lichts." Unbedingt zu erwähnen ist noch die Musik (Michael Klaukien), die wesentlichen Anteil an der formidablen Gesamtqualität hat.