"Schande" beginnt als Thriller, weil in Brocks Wohnhaus ein Brand ausbricht und der Psychologe im letzten Moment vor einer Rauchvergiftung gerettet wird; Kameramann David Slama, seit weit über dreißig Jahren ein Meister seines Fachs, hat dem Zwielicht großartige Bilder abgerungen. Davon abgesehen ist die Atmosphäre des Films eher kühl; das winterliche Wien wirkt selbst dann noch abweisend, wenn die Sonne scheint. Die sparsame Musik (Matthias Weber) sorgt zwar weiterhin im Hintergrund dafür, dass "Spuren des Bösen" kein Wohlbehagen verbreitet, doch die Geschichte konzentriert sich nach einer längeren Einleitung auf das Kräftemessen zwischen dem Psychotherapeuten und seinem Patienten. Es war eine ausgezeichnete Entscheidung, diese Rolle Fritz Karl anzuvertrauen. Der Österreicher hat schon eine Vielzahl von Schurken gespielt, aber hier sorgt er dafür, dass man lange nicht schlau aus dem innerlich verzweifelt traurigen Gerhard Bliem wird. Außerdem ist das sanfte Auftreten des Mediziners natürlich ein reizvoller Kontrast zum in sich gekehrten, hartschaligen Brock; gerade weil Heino Ferch fast keine Miene verzieht, ist sein Spiel ungeheuer wirkungsvoll. Am Ende schließt sich dann der Kreis, zumindest, was das Genre angeht: Spätestens mit dem optisch ausgesprochen mutig gestalteten Finale untermauert der Film die ganz besondere Qualität dieser Reihe.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).