Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat es, dass Bildungs- und Kulturveranstaltungen nicht mehr stattfinden können?
Karl Waldeck: Es gibt natürlich wirtschaftliche: Die Einnahmen für Kultur- und Bildungseinrichtungen und Kulturschaffende bleiben im Wesentlichen aus. Wie Theater, Orchester, Museen in öffentlicher Trägerschaft dies kompensieren können, hängt von der Möglichkeit und Bereitschaft der Träger ab, die Einnahmeausfälle zu kompensieren oder zumindest zu mildern. Das gilt auch für Bildungsträger wie eine evangelische Akademie. Wir sind in der grundsätzlich günstigen Lage, dass wir einen Haushaltsplan mit kirchlichen Zuweisungen haben. Was uns aktuell materiell fehlt, sind Einnahmen durch Teilnehmerbeiträge. Wie es um staatliche Drittmittel und andere Zuschüsse steht, ist derzeit noch unsicher. Eine Durststrecke wird es auf jeden Fall - und je länger Veranstaltungen nicht stattfinden dürfen, desto härter werden alle Akteure getroffen. Die immaterielle Seite der Corona-Krise: Als Akademie stehen wir für das Motto Martin Bubers: "Alles wirkliche Leben ist Begegnung." Die Teilnehmer unserer Veranstaltungen am Hofgeismarer Gesundbrunnen - sie fehlen uns. Über Newsletter und Social Media bleiben wir mit ihnen - digital - in Verbindung. Das aber ist nur ein Behelf auf Zeit.
Sind die Bildungs- und Kulturangebote, die das Internet und der öffentlich-rechtliche Rundfunk bereithalten, ein gleichwertiger Ersatz für ausgefallene "reale" Veranstaltungen?
Waldeck: Die Bildungs- und Kulturangebote im Internet, ob sie von Kulturinstitutionen oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bereitgestellt werden, sind unter den gegebenen Umständen ein guter, ja der bestmögliche Ersatz. Ein gleichwertiger Ersatz sind sie dennoch nicht: Mozart auf dem Bildschirm kann die Atmosphäre, schon die Akustik eines Opern-Besuchs nicht erreichen. Das gilt auch für Museen. Die Chance für diese Kulturinstitutionen sehe ich im Internet darin, dass Sie mehr Informationen über ihre Arbeit vermitteln können: wie eine Theaterproduktion entsteht oder mehr Erfahrungen zugänglich machen über einen Künstler, über sein Werk, über das Museum, als das üblicherweise möglich ist. Das kann neugierig machen - auf einen Besuch nach Corona.
Bei Bildungsveranstaltungen stellt sich die Sache differenzierter dar: Die Erfahrung zeigt, dass Videokonferenzen, ob es dabei um Vorträge oder Diskussionen geht, nur über einen gewissen Zeitraum Aufmerksamkeit binden können. Ein Wechsel der Formate ist notwendig. Vor allem fehlt digital die Stärke einer mehrtägigen realen Veranstaltung, und dass im Plenum eingehend und lebendig diskutiert werden kann. In einem Chat geht die spontane Interaktion zurück, zudem fehlt das informelle Miteinander in den Pausen und am Rande einer Tagung.
Wird sich die Bildungs- und Kulturlandschaft nach Ende der Krise nachhaltig verändern?
Waldeck: Wir müssen mit Veränderungen rechnen. Wie gravierend sie sein werden, ist noch nicht abzusehen. Ein Bildungs- oder Kulturkahlschlag wäre fatal. Bildung und Kultur sind systemrelevant. Bildungseinrichtungen wie die Evangelische Akademie Hofgeismar führen Diskurse, sie befähigen zum Diskurs und zur Teilhabe an der Demokratie, sie erweitern den Horizont. Das kann man nicht auf Euro und Cent gegenrechnen. Ich rechne zudem damit, dass durch die jetzige Situation die Digitalisierung der Bildungs- und Kulturarbeit auch nach der Corona-Krise beschleunigt wird. Digitale Bildung wird Veranstaltungen face to face nicht ersetzen können, es wird sie nebeneinander geben. Wir stehen am Anfang eines Lernprozesses, wie sich beide ergänzen können.