Herr Oberkirchenrat Kaufmann, wen trifft die Corona-Krise momentan am härtesten?
Dieter Kaufmann: Tragisch ist die Situation in den Pflegeheimen. Wir bekommen jetzt vermehrt die Information, dass in einem Heim wieder eine Person an Corona erkrankt ist. Wir wissen, dass das vor allem ältere Menschen trifft, manche mit Vorerkrankungen, und dass es für einige den Tod bedeuten wird. Das ist sehr traurig. Und natürlich trifft es auch die Mitarbeitenden in diesen Einrichtungen.
Wie sieht es bei den Wohnungslosen aus?
Kaufmann: Die wissen im Moment nicht, wo sie bleiben sollen. Die kommunalen Unterkünfte sind zum großen Teil geschlossen wegen Ansteckungsgefahr. Auch die Tagesstätten und Mittagstische sind überwiegend zu. Oder es gibt nur eine Kleinigkeit, ein Vesperpaket. Die Versorgung dieser Menschen ist gefährdet.
Haben denn arme Menschen, etwa Hartz-IV-Empfänger, derzeit genug zum Leben?
Kaufmann: Auch hier ist es sehr schwierig. Tafelläden hatten weitgehend geschlossen, weil dort überwiegend ältere Ehrenamtliche arbeiten und das Risiko für diese Leute einfach zu hoch ist. Einige öffnen jetzt wieder. Aber Tafelläden bekommen nicht mehr so viel Nachschub wie sonst. In den Lebensmittelgeschäften bleibt derzeit einfach weniger übrig. Also müssen die Armen ihre Lebensmittel regulär kaufen, und dafür fehlt das Geld. Diese Menschen werden derzeit einfach vergessen.
Deshalb fordern Sie, Hartz IV vorübergehend aufzustocken...
Kaufmann: ...ja, wir haben eine vorübergehende Erhöhung von 100 Euro im Monat empfohlen. Denn die Betroffenen haben derzeit wirklich höhere Kosten. Mit unserer Forderung sind wir leider nicht durchgedrungen. Es gibt zwar ein paar Erleichterungen, wo es um Sanktionen gegen die Empfänger geht, wenn sie beispielsweise eine Bescheinigung nicht rechtzeitig eingereicht haben. Aber der Kostendruck für diesen Personenkreis ist einfach enorm.
"Mangelnder Schutz hat also weitreichende Auswirkungen"
Werden diakonische Einrichtungen bei der Versorgung mit Schutzkleidung ausreichend berücksichtigt?
Kaufmann: Bei uns fehlen Schutzmasken und -anzüge an allen Ecken und Enden. Aber natürlich wissen wir, dass das in anderen Bereichen auch der Fall ist. Es gibt im Moment einfach kein Material. Wenn eine Pflegekraft von Haus zu Haus geht, muss sie die Menschen und sich selbst schützen können. Wenn die Pflege zu Hause nicht mehr funktioniert, müssen die Leute in eine Einrichtung oder am Ende sogar ins Krankenhaus, und dort ist im Moment auch kein Platz. Mangelnder Schutz hat also weitreichende Auswirkungen. Wir brauchen diese Schutzausrüstung ja nicht nur in der Pflege, sondern auch in unseren Einrichtungen der Behinderten- oder Wohnungslosenhilfe und anderen Hilfefeldern.
Auch die Sozialwirtschaft ist von der Krise bedroht. Weil gemeinnützige Organisationen keine Rücklagen bilden dürfen, stehen sie vor dem Aus. Droht hier eine Insolvenzwelle?
Kaufmann: Wir haben früh darum gekämpft, dass diakonische Unternehmen unter den Rettungsschirm des Bundes kommen. Das ist gelungen. Und auch die Wirtschaftsministerin Baden-Württembergs hat uns in diesem Prozess beteiligt. Das war ein erster wichtiger Schritt.
Wen betrifft das überhaupt konkret?
Kaufmann: Nehmen Sie zum Beispiel eine Tagespflege. Die muss im Moment geschlossen bleiben. Die Kosten für Mitarbeiter und Raummieten sind aber weiterhin zu bezahlen. Hier greift jetzt zum Glück das Krankenhausentlastungsgesetz, das auch zum Rettungsschirm gehört. Die Krankenkassen können solche Einrichtungen nun weiterfinanzieren.
Dennoch: Werden Einrichtungen insolvent gehen?
Kaufmann: Die genannten Maßnahmen werden einiges abfedern. Außerdem haben wir als Diakonie gemeinsam mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg den Notfonds aufgestockt. Wir brauchen diese diakonischen Einrichtungen ja dringend, denn wenn es die nicht mehr gäbe, wer sollte etwa pflegende Angehörige entlasten? Der Notfonds kann mit Überbrückungshilfen einspringen.
Am Karfreitag wird es keine normalen Gottesdienste geben, deshalb fällt auch das Opfer für die Diakonie-Aktion "Hoffnung für Osteuropa" aus. Gibt's dieses Jahr dafür keine Projektgelder?
Kaufmann: Die Not und das Elend in Osteuropa sind für manche Teile der Bevölkerung riesengroß. Unsere kirchlich-diakonischen Partner senden uns Hilferufe. Wir werden unsere Unterstützung nicht streichen können. Aber die Aktion lebt von dem Karfreitagsopfer, das sind jährlich zwischen 300.000 und 400.000 Euro. Deshalb werben wir derzeit auf allen Kanälen, dass Menschen für Bedürftige in Osteuropa spenden. In diesen Ländern kann man ja mit 5.000 Euro schon relativ viel machen.
Einmal weiter gedacht: Was lernen wir aus dieser Krise?
Kaufmann: Wir sehen momentan, welche Berufe tatsächlich unsere Gesellschaft tragen. Ich habe hohen Respekt vor allen Berufen in Politik, Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft. Aber nun zeigt sich, dass gerade auch die helfenden Berufe ein höheres Ansehen brauchen und besser bezahlt werden müssen.