Justiz: Ungarn, Polen und Tschechien mussten Flüchtlinge aufnehmen

Justiz: Ungarn, Polen und Tschechien mussten Flüchtlinge aufnehmen
Von der Leyen: Urteil gibt Anleitung für die Zukunft
Es war ein Hauptzankapfel in der sogenannten Flüchtlingskrise: die Umverteilung Zehntausender Asylbewerber aus Griechenland und Italien. Jetzt hat die Justiz gegen die geurteilt, die nicht mitgemacht haben.
02.04.2020
epd
Von Phillipp Saure (epd)

Brüssel, Luxemburg (epd). Polen, Ungarn und Tschechien haben EU-Recht gebrochen, als sie die Übernahme von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien verweigerten. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in Luxemburg und gab damit möglicherweise ein Signal zur anstehenden Reform des europäischen Asylsystems. Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von einem wichtigen Urteil. (AZ: C-715/17, C-718/17 und C-719/17)

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung hatten die EU-Innenminister im September 2015 per Mehrheitsvotum zwei Beschlüsse gefällt. Damit sollten 160.000 Asylbewerber aus Italien und Griechenland in die übrigen EU-Staaten umgesiedelt werden, um die Länder an den Außengrenzen zu entlasten.

Am Ende wurden laut EU-Kommission nur knapp 35.000 Menschen umverteilt. Viele kamen nach Deutschland. Zum einen sei die Zahl der Ankömmlinge in Griechenland durch den EU-Türkei-Deal stark gesunken, erklärte die EU-Kommission. Zum anderen hätten viele Menschen in Italien die Voraussetzungen für eine Umverteilung nicht erfüllt, denn dazu mussten sie hohe Chancen auf Asyl haben.

Polen und Ungarn nahmen laut EuGH keine der ihnen zugeteilten Menschen auf, Tschechien lediglich zwölf. Die EU-Kommission verklagte die Länder darum vor dem EuGH.

Vor Gericht führten die Osteuropäer eine Reihe von Argumenten ins Feld. Ungarn und Polen machten insbesondere die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit geltend. Sie seien durch die Aufnahmeregelung gefährdet. Tschechien brachte laut EuGH vor, die Umverteilung sei für die Bewältigung der Migration zu unwirksam. Es selbst habe effektiver gehandelt, als es in Drittländern half und den Schutz der EU-Außengrenzen unterstützte. Alle drei bestritten die Klagen ferner aus formalen Gründen.

Der EuGH urteilte nun anders. Er verwies darauf, dass die Beschlüsse von 2015 durchaus erlaubten, öffentliche Ordnung und innere Sicherheit zu gewährleisten. Jedes Land hätte sich dafür nach Einzelfallprüfungen gegen die Aufnahme von als Risiko beurteilten Asylbewerbern sperren können. Allein aus einer "Generalprävention" heraus könne man aber nicht alle ablehnen.

Auch das Argument der mangelnden Wirksamkeit der Beschlüsse wies der EuGH zurück. Wenn sich ein Land auf seine einseitige Beurteilung stützen könnte, um gemeinsame Beschlüsse nicht umzusetzen, würde das die Solidarität und Rechtsverbindlichkeit in der EU beeinträchtigen.

Direkte Folgen wie Geldbußen oder eine unmittelbare Verpflichtung für die Aufnahme von Flüchtlingen - die Beschlüsse sind inzwischen außer Kraft - besitzt das Urteil nicht. Es könnte aber Signalwirkung haben.

Kommissionschefin von der Leyen sagte in Brüssel, das Urteil "bezieht sich auf die Vergangenheit, aber es wird uns Anleitung für die Zukunft geben". Von der Leyen will nach Ostern ihre Pläne zur Reform des EU-Asylrechts vorstellen. Die EuGH-Entscheidung sei in Hinsicht "auf die Verantwortung der Mitgliedstaaten sehr deutlich", erklärte sie weiter. Ob dies bedeuten könnte, dass von der Leyen eine allgemeine Aufnahmeverpflichtung für Flüchtlinge vorschlagen will, ist aber unklar.

Die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst forderte genau dies. Sie verlangte mit Blick auf den EuGH-Spruch nun ein System, "das alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich an der Aufnahme von Asylsuchenden beteiligt". Ihre Kollegin Birgit Sippel (SPD) erklärte: "Das ist ein starkes Signal dafür, dass europäische Migrations- und Asylpolitik auf Solidarität und Zusammenarbeit basieren muss." Sippel verband dies mit dem Appell, die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln zu evakuieren.