Die Themen wechseln, die Ostermärsche bleiben - dieses Mal aber nur virtuell

Ostermärsche 190er
© epd-bild/akg-images
Hohne am 17. April 1960. Aus Hamburg kommende Demonstranten auf ihrem Marsch zwischen Sprötze und Schneverdingen. Sie waren die ersten Ostermarschierer in Deutschland auf dem Weg von Hamburg zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide.
Die Themen wechseln, die Ostermärsche bleiben - dieses Mal aber nur virtuell
Am Karfreitag 1960 beginnt der erste Ostermarsch in Deutschland. Bis heute sind die Kundgebungen ein zentrales Element der Friedensbewegung. Mit einem Sternmarsch in der Lüneburger Heide fing all das an, was in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie nur virtuell stattfinden darf.

Als der Lehrer Konrad Tempel am 15. April 1960 mit einigen Dutzend Gleichgesinnten zu einem Sternmarsch in die Lüneburger Heide aufbricht, ahnt er nicht, welche Massenbewegung an diesem Karfreitag entstehen sollte. Drei Tage später, am Ostermontag, demonstrieren am Truppenübungsplatz im niedersächsischen Bergen-Hohne mehr als 1.000 Pazifisten gegen Atomwaffen. Es ist der erste Ostermarsch in Deutschland.

Auch heute, 60 Jahre später, gehen die Ostermärsche der Friedensbewegung weiter - wegen der Corona-Pandemie aber in diesem Jahr nur virtuell. Von ihren Hochzeiten Ende der 60er und Anfang der 80er Jahre, als während der Nachrüstungsdebatte Hunderttausende zu den Kundgebungen kamen, ist die Bewegung heute weit entfernt. Politisch spielte sie aber in den letzten Jahrzehnten immer wieder eine wichtige Rolle.

Inspiriert wurden die Aktionen in Deutschland von Großbritannien, wo Friedensaktivisten an Ostern 1958 einen dreitägigen Protestmarsch von London zum Atomwaffen-Forschungszentrum Aldermaston organisierten. "Wir waren damals völlig unerfahren, was Demonstrationen anging", erinnert sich der heute 87-jährige Konrad Tempel. Schon die Resonanz der ersten Kundgebung überraschte ihn. Seine Frau Helga erklärt, eine Demonstration dieser Art sei "1960 ein völliges Novum im politischen Bereich" gewesen.

Der Organisator des ersten deutschen Ostermarsches 1960, Konrad Tempel und seine Frau Helge, mit einem Plakat von damals.

Dieser Tag war aus Sicht der ehemaligen Lehrerin ein wichtiger Impuls für die spätere außerparlamentarische Opposition: Damals seien trotz anfänglicher Berührungsängste "Menschen unterschiedlicher Herkunft, politischer Haltungen und sozialer Einbindungen" gemeinsam auf die Straße gegangen.

Die Bewegung wuchs rasch: 1961 waren es vier, 1964 bereits 20 Märsche in Deutschland. "Wir haben dazu beigetragen, dass die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts als Element kritischer Mitverantwortung hierzulande selbstverständlich wurde", sagt Konrad Tempel. "Und wir haben gezeigt, dass Menschen auch außerhalb der etablierten Großorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften etwas bewegen können." Die Ostermarschierer seien zudem Wegbereiter der Entspannungspolitik gewesen.

Beim Ostermarsch 1986 in Hasselbach im Hunsrück drücken Christen vor der Atomwaffenbasis ihren Protest gegen die geplante Stationierung von 96 Cruise Missiles in einem ö?kumenischen Gottesdienst aus. Vor 50 Jahren startete in London der erste Ostermarsch.

Nach einer längeren Pause in den 70er Jahren erhielt die Ostermarschbewegung zu Beginn der 80er Jahre mit den Protesten gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Deutschland neuen Auftrieb. "Die Ostermärsche haben wegen der SPD und der neuen Ostpolitik aufgehört und wegen der SPD und der Haltung von Bundeskanzler Helmut Schmidt zur sogenannten Nachrüstung wieder angefangen", so beschreibt es Willi van Ooyen.

Er war als Leiter der Infostelle Ostermarsch in Frankfurt am Main maßgeblich an der Wiederbelebung der Ostermärsche beteiligt und ist überzeugt: "Dass 1987 der INF-Vertrag von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnet wurde, ist sicher auch den Protesten der Friedensbewegung zu verdanken." Der Vertrag regelte ein Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen.

"Die Ostermärsche spielen durchaus eine wichtige Rolle und haben die deutsche Gesellschaft mitgeprägt", sagt auch Gregor Hofmann vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Dass Deutschland militärisch zurückhaltend sei und der Einsatz staatlicher Gewalt skeptisch gesehen werde, habe auch mit den Protesten der Friedensbewegung zu tun. Thematisch hätten die Ostermarschierer immer wieder neue und aktuelle Themen bis hin zur heutigen Klimaschutzbewegung aufgegriffen, aber Ausgangspunkt sei die Forderung nach einer atomwaffenfreien Welt gewesen.

Drohende nukleare Rüstungsspirale

"Nun sind wir wieder in einer ähnlichen Situation", meint Willi van Ooyen und verweist auf eine drohende nukleare Rüstungsspirale und die Aufkündigung von Abrüstungsverträgen. Ein Protestschwerpunkt der vergangenen Jahre ist der Fliegerhorst Büchel in der Eifel, wo die letzten Atomwaffen auf deutschem Boden vermutet werden. Die Teilnehmerzahlen seien dort, aber auch insgesamt in den vergangenen Jahren wieder nach oben gegangen, sagt Elke Koller vom örtlichen Initiativkreis gegen Atomwaffen.

Ostern 2019 gab es bundesweit rund hundert Ostermärsche, Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn sprach von insgesamt mehreren Zehntausend Teilnehmern. Um die Zukunft der Ostermärsche macht sich Golla keine Sorgen: "Die Themen wechseln, es kommen neue Schwerpunkte, aber die Ostermärsche bleiben."

Hoffnung auf jugendlichen Zulauf

Auf Zulauf hoffen die Organisatoren für die Zukunft auch durch die Jugendlichen der Bewegung "Fridays for Future". "In den 80er Jahren war es ein Untergangsszenario, das die Menschen auf die Straße brachte, der Atomkrieg", sagt Golla. "Heute sind es zwei, der Atomkrieg und die Klimakatastrophe."

Der Politologe Hofmann ist da skeptischer. "Ich habe den Eindruck, dass die klassischen Protestformen der Friedensbewegung wie der Ostermarsch jüngere Menschen eher weniger ansprechen", sagt der Wissenschaftler. Die Ostermärsche seien aber für die Friedensbewegung weiter identitätsstiftend. Zu einer Massenbewegung wie in den 80er Jahren werde es jedoch nicht mehr kommen.