Die "Lindenstraße" hat sich überlebt: Das ist die Meinung von Hans-Jürgen Luibl, Pfarrer und Professor am Institut für Christliche Publizistik in Erlangen. Die Serie, die 35 Jahre lang in der ARD lief und jetzt eingestellt wird, hat Luibl selbst viele Jahre lang angeschaut. Große Traurigkeit über das Ende der "Straße" und ihrer Bewohner spürt man bei Luibl nicht. Die "Lindenstraße" schaffe es nicht mehr, Geschichten, die auserzählt sind, auserzählt zu lassen, erklärte Luibl am Mittwoch im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Kein Ende mehr zu setzen, ist eine Infantilisierung des Ganzen", erklärt Luibl. "Dann werden wir mal ein bisschen erwachsener."
Am kommenden Sonntag (15. März, 11.45 Uhr) wird Luibl in der Johanneskirche in Erlangen einen Spätaufsteher-Gottesdienst anbieten zum Thema "Die Lindenstraße - da hat doch auch der liebe Gott gewohnt?". Die Themen Religion, Kirche und Glaube habe die Fernsehserie nur zu einem ganz kleinen Teil aufgenommen, erklärt Luibl. Die Münchner Frauenkirche werde zwar wöchentlich im Vorspann gezeigt - "aber inhaltlich Religiöses kam nicht vor". Der Theologe macht dafür die "Nach-68er" wie den Regisseur Hans W. Geißendörfer verantwortlich, "die das Thema draußen haben wollten".
Für spannend hält Luibl, "inwieweit eine solche Serie selbst Sinn und religiöse Elemente produziert". Die Ethik- und Wertefragen oder die verlässliche Inszenierung jeden Sonntagabend seien religiöse Elemente. Als Beispiel nennt der Theologe auch eine Szene aus einer der letzten Folgen, in der es um einen jungen Mann geht, der pädophil, aber nicht straffällig ist. Es kommt zu einem klassischen Versöhnungsmahl mit Mitgliedern seiner Familie, die sich zuvor gegenseitig verletzt haben. "Bei diesem Abendessen sitzen sie zusammen und fangen an zu reden, sagen sich, was sie aneinander gut finden - das sind klassische Abendmahlsszenen."
Gerade in den letzten Jahren sei die Serie "moralisch und auch kitschig geworden", findet Luibl. "Der Zeigefinger war immer schon dabei. Den konnte man früher auch noch verkraften, aber heute möchte man das nicht mehr." Den Unterschied zur neuen Unterhaltungswelt machten nicht die Themen aus, sondern die Haltung der Zuschauer: "Ich weiß schon selber, was richtig ist und was nicht."
In früheren Jahren hat die "Lindenstraße" nach der Auffassung des Medienexperten nicht nur das "Tabubruch-Potenzial", sondern auch das "Zukunftspotenzial" gehabt. Als der gebürtige Vietnamese Gung für das Amt des Präsidenten kandidiert hat, sei das burlesk gewesen. Doch wenig später sei Philipp Rösler Minister geworden. Onkel Franz, Grantler, mit neonazistischen Sprüchen, sei lebensnäher gewesen. "Die Entwicklungen von Figuren haben früher einen breiteren Raum eingenommen, das hat man dann auch verstanden", sagt Luibl. Wenn aber jetzt eine ganze Polizeistation rechtsradikal werde, sei das zu plakativ und aufgesetzt.
Eine Nachfolgeserie für die "Lindenstraße" könnte es nach Luibls Einschätzung geben, "aber sie müsste wesentlich jünger sein, den modernen Seh- und Hörgewohnheiten entsprechen und wahrscheinlich einem anderen Verständnis von Gesellschaft": "Man geht heute nicht mehr ins Wohnzimmer und lässt sich über Themen orientieren. Das ist vorbei."