In der zehnten Episode der ohnehin leicht schrägen ZDF-Reihe "München Mord" ist es ausnahmsweise mal der Bestatter selbst, der das Zeitliche segnet, wenn auch unfreiwillig, sprich: nicht auf natürliche Weise; glaubt zumindest seine Tochter Eva (Johanna Ingelfinger), weshalb sie bei Kriminalhauptkommissar Schaller (Alexander Held) und seinem Team von der Mordkommission vorstellig wird. Augenscheinlich ist der alte Thallinger einem Herzstillstand erlegen; so steht es zumindest im Totenschein. Auch der Einstich in der Ellenbeuge lässt sich erklären: Der Mann hat sich auf diese Weise regelmäßig Vitamine zugeführt. Es ist denn auch mehr sein Gespür, dass Schaller dazu bewegt, sich Evas Vermutung anzuschließen. Tatsächlich findet sich bei der Obduktion Formalin im Körper der Leiche, was einerseits nicht verwundert, weil der Bestatter nach seinem Tod einbalsamiert worden ist, aber das Formaldehyd ist ihm schon zuvor zugeführt worden; ohne das diffuse Gefühl der Tochter wäre es ein perfekter Mord gewesen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Beruf des Opfers und die ungewöhnliche Todesart sind zumindest auf der kriminalistischen Ebene allerdings auch die einzigen ungewöhnlichen Umstände. Ansonsten entspricht die Geschichte den üblichen Rahmenbedingungen; die Thallingers mögen ein bisschen merkwürdig sein, aber welche Krimifamilie ist das nicht. Sehenswert wird "Was vom Leben übrig bleibt", weil Friedrich Ani (diesmal unterstützt durch Moritz Binder) den drei Hauptdarstellern wieder mal wunderbare Dialoge geschrieben hat. Viel interessanter als die üblichen Ermittlungen und Befragungen im Umfeld der Thallingers sind die Szenen, in denen Schaller und sein Team Flierl und Neuhauser (Bernadette Heerwagen, Marcus Mittermeier) über das Leben und den Tod sinnieren. Angelika Flierl bricht in Tränen aus, als sie der Trauerfeier für eine unbekannte Verstorbene beiwohnen, um sich anschließend mit Ignaz (Helgi Schmid), dem früheren Lehrling Thallingers, zu unterhalten. Der junge Bestatter erwähnt in seiner Trauerrede die Kässpatzen, für die die Verblichene offenbar bekannt war, und Fräulein Flierl kann sich gar nicht über die Vorstellung beruhigen, dass die Hinterbliebenen nach ihrem Ableben bloß noch ein Nudelgericht mit ihr verbinden könnten.
Sehr schön sind auch die Dispute mit dem Geliebten der Witwe (Inka Friedrich): Doktor Werner (Bernhard Schir) ist Schönheitschirurg, zitiert im Gespräch mit den beiden etwas überforderten Mitarbeitern Schallers Platons Gleichnis vom Kugelmenschen und gerät in Verdacht, weil der Bestatter rausgefunden hat, dass dem Mann bei einer angesagten jungen Frau aus der Münchener Szene ein gravierender Kunstfehler unterlaufen ist. Das ergäbe zwar neben Eifersucht ein weiteres Mordmotiv, aber damit hat sich die Rätselhaftigkeit der Krimiebene im Grunde auch schon erschöpft, selbst wenn Schaller gegen Ende durch Thallinges Vermächtnis auf die Wahrheit geführt wird: "Eure Kinder sind nicht eure Kinder", zitiert der Bestatter aus einem Gedicht von Khalil Gibran, in dem sich der libanesisch-amerikanische Dichter und Philosoph dem Anschein zum Trotz keineswegs mit außerehelich gezeugtem Nachwuchs befasst; selbst wenn sich die Drehbuchautoren den Spaß erlauben, das Ehepaar Thallinger Maria und Josef zu nennen.
Regie führte Jan Fehse, der auch die im Rahmen der Reihe allenfalls durchschnittliche letzte Episode ("Die Unterirdischen") inszeniert hat. Krimispannung im klassischen Sinn hat er auch diesmal nicht erzeugt, selbst wenn sich Schaller in der beinahe gruseligen Rekonstruktion des Tathergangs zumindest innerlich in den jungen Bestatter verwandelt. Die Arbeit mit den bis in die kleinste Nebenrolle sehr guten Schauspielern ist dagegen vorzüglich. Das hat womöglich auch etwas mit dem Vergnügen zu tun, dass die Darsteller an ihren Dialogen hatten. Selbst ein eher unsubtiler Gag wie der Hinweis des Rechtsmediziners, er müsse zurück zu seiner Arbeit, denn er habe selbst noch ein paar Leichen Keller, klingt ziemlich geistreich. Einige Bemerkungen haben hingegen tatsächlich Aphorismusqualität. So stellt zum Beispiel Neuhauser fest, tot sein sei wie deppert sein: "Alle anderen kriegen’s mit, nur du selbst nicht."