Nach den Morden von Hanau sieht die Bundesanwaltschaft "gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat". "Diese ergeben sich aus den augenscheinlich von Tobias R. herrührenden Videos und Dokumenten", teilte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag in Karlsruhe mit. Derzeit gäbe es keine Erkenntnisse zu etwaigen Vorstrafen oder Ermittlungen mit politischem Bezug gegen den mutmaßlichen Täter.
Generalbundesanwalt Peter Frank sprach von einer "zutiefst rassistischen Gesinnung" des 43 Jahre alten deutschen Staatsangehörigen aus Hanau. Dieser hat nach vorläufigen Erkenntnissen am Mittwochabend im der hessischen Stadt in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen. Unter den Getöteten zwischen 21 und 44 Jahren waren sowohl ausländische als auch deutsche Staatsangehörige.
Später wurde Tobias R. in seiner Wohnung tot aufgefunden, zudem dessen 72-jährige Mutter tot. Beide wiesen Schussverletzungen auf. Neben dem mutmaßlichen Täter lag eine Schusswaffe. Der Vater wurde den Angaben nach von Polizisten äußerlich unverletzt angetroffen.
Die weiteren Ermittlungen sollen sich laut Bundesanwaltschaft insbesondere auch darauf konzentrieren, ob es noch bislang unbekannte Mitwisser oder Unterstützer gibt. Auch werde das Umfeld von Tobias R. durchleuchtet und darauf untersucht, ob nationale und internationale Kontakte bestanden haben.
Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung reagierte mit Fassungslosigkeit auf den Terroranschlag. Auf seiner Facebookseite schrieb er: "Wir sind entsetzt über das grausame Verbrechen in Hanau. Wir beten für die Opfer und alle, die jetzt trauern." Weiter heißt es in dem Post: "Wir beten für die Menschen, die ermitteln und Hilfe leisten. Wir beten für Hanau."
Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, sprach den Hinterbliebenen der Gewalttat ihr Mitgefühl aus. "Wir trauern mit den Angehörigen der Toten und sprechen ihnen unser Beileid aus. Wir beten für die Trauernden. Wir beten für die an Leib und Seele Verletzten, dass sie wieder gesund werden", sagte sie in Kassel. Die evangelische Kirche werde sich weiter für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt einsetzen. Viele Kirchen in Hanau stehen derzeit zur Einkehr, zum Gebet und zum Gespräch offen.
Der Bischof des Bistums Fulda, Michael Gerber, versicherte die Solidarität der katholischen Kirche mit den Verletzten und Hinterbliebenen der Getöteten sowie mit den Ersthelfern und Einsatzkräften. In den Gebeten in der Gemeinden hätten sie einen festen Platz. "Was wir aktuell an Informationen bezüglich der Hintergründe dieser Tat erfahren, verstört uns zutiefst", erklärte er.
Gedenkgottesdienst am Freitag
Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hanau hat für Freitag, 21. Februar, zu einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des Terroranschlages eingeladen. Der Gottesdienst werde um 18 Uhr in der Freien Evangelische Gemeinde in der Weimarer Straße 35 in Hanau stattfinden, teilte das Bistum Fulda am Donnerstag mit.
Ebenso wie die evangelischen Kirchen seien auch die katholischen Kirchen der Stadt für Trauernde und Betroffene geöffnet, hieß es weiter. Dort stünden Seelsorgeteams für Gespräche zur Verfügung. Das Thema solle zudem in allen Gottesdiensten aufgegriffen und ins Gebet gebracht werden. Außerdem werde sich der Runde Tisch der Religionen an der Mahnwache auf dem Marktplatz am Donnerstag um 18 Uhr beteiligen.
Reaktionen der EKD und Diakonie
Auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm zeigt sich erschüttert und fassungslos: "Wenn sich bewahrheitet, was jetzt bekannt geworden ist, dann ist diese Gewalttat ein trauriger Beleg für die brutalen Konsequenzen des Gifts, das rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise zu streuen versuchen. Wer Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sät, der muss auch damit rechnen, dass daraus brutale Gewalt erwächst", schrieb er in einer Pressemitteilung der EKD.
Diakoniepräsident Ulrich Lilie hat nach der mutmaßlich fremdenfeindlich motivierten Gewalttat in Hanau einen gesellschaftlichen Zusammenhalt gegen rechts gefordert. "Es reicht. Spätestens jetzt muss jedem klar sein: Wer mit den Höckes spielt und auf Hass und Ausgrenzung setzt, schürt Gewalt und solchen Irrsinn", erklärte der Präsident des evangelischen Wohlfahrtverbandes am Donnerstag in Berlin.
Weltkirchenrat verurteilt Anschlag
Die Diakonie stehe "für ein Deutschland in Vielfalt und Menschlichkeit", sagte Lilie. Sie setze sich dafür ein, dass sich jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht willkommen und sicher fühle.
Auch der Weltkirchenrat hat den Anschlag von Hanau scharf verurteilt. Extremismus und Hass dürften keinen Platz in unserer Welt haben, erklärte der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Olav Fykse Tveit, am Donnerstag in Genf. Die Welt müsse zusammenstehen, um derartige Gewalttaten zu verhindern, unterstrich Tveit.
Kampf gegen Rechts
Muslimische Verbände riefen Politik und Gesellschaft zu Solidarität mit den Opfern auf. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, erklärte, wer antimuslimischen Rassismus nicht klar benenne oder verharmlose, mache sich mitschuldig an der blutigen Gewalt gegen Minderheiten. Muslimische Gotteshäuser und Repräsentanten der Religionsgemeinschaft müssten von den Sicherheitsbehörden besser geschützt werden, forderte er und rief zugleich die Muslime auf, eigene Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Die Kurdische Gemeinde Deutschland reagierte mit Entsetzen auf den Anschlag. Unter den in Hanau getöteten Menschen seien auch junge Kurden, erklärte sie in Gießen. "Wir müssen die Bekämpfung des Rechtsterrorismus endlich ganz oben auf unsere politische Agenda stellen." Deutschland sei die Heimat vieler Menschen, die zugezogen sind und "dieses Land aufbauen, voranbringen und schützen".
Rassismus und Hass als Gift
Politiker aller Parteien verurteilten den Mordanschlag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach nach der Gewalttat den Opfern und Angehörigen seine Anteilnahme aus. "Ich stehe an der Seite aller Menschen, die durch rassistischen Hass bedroht werden", sagte er. Steinmeier wurde nach Angaben des Hanauer Bürgermeisters Claus Kaminsky (SPD) am Nachmittag in Hanau erwartet.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der ebenfalls an der Mahnwache teilnehmen will, bezeichnete die Bluttat als ein furchtbares Verbrechen. "Das ist ein Angriff auf uns alle, auf unsere freiheitliche Demokratie", sagte er. Bouffier sprach den Angehörigen der Opfer sein tiefes Mitgefühl aus und wünschte den Verletzten baldige Genesung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von "entsetzlichen Morden". "Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift." Dieses Gift sei "schuld an schon viel zu vielen Verbrechen", sagte sie in Berlin und verwies auf der Morde der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den antisemitischen Anschlag von Halle.
Mut, Zivilcourage und Strafrecht
Ex-Bundespräsident Christian Wulff dringt auf einen entschiedenen Einsatz gegen rechte Gewalt. "In Deutschland bricht sich ein gefährlicher Rechtsterrorismus Bahn", sagt Wulff am Donnerstag in Berlin. Dem könne nur aus der Mitte der Gesellschaft wirksam der Boden entzogen werden.
"Es müssen endlich alle in diesem Land begreifen, dass wir alle dem Hass, der Fremdenfeindlichkeit und dem Rassismus viel deutlicher und lauter entgegentreten müssen - mit allen verfügbaren Mitteln: Mut, Zivilcourage und dem Strafrecht", sagte der 60-Jährige. Als Bundespräsident hatte Wulff 2010 mit dem Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" eine Debatte über Integration und Zusammenhalt in Deutschland ausgelöst.
Vergiftetes gesellschaftliches Klima
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der zusammen mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) nach Hanau gereist war, kündigte an, mit den Innenministern der Länder über erhöhte Sicherheitsvorkehrungen an den Karnevalstagen zu beraten. Unter anderem solle es darum gehen, "sensible Einrichtungen" noch besser zu schützen, sagte Seehofer.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) rief zu einer Mäßigung im politischen Diskurs auf. "Solche Wahnsinnstaten geschehen nicht im luftleeren Raum, sie wachsen in einem vergifteten gesellschaftlichen Klima", erklärte Schäuble in Berlin.
Polarisierung der Gesellschaft
Außenminister Heiko Maas (SPD) warnte vor einem erstarkenden Rechtsterrorismus. "Wenn sich der Verdacht erhärtet, ist die grauenhafte Tat in Hanau der dritte rechtsextreme Mordanschlag in Deutschland in einem Jahr. Rechtsterrorismus ist wieder zu einer Gefahr für unser Land geworden. Da gibt es rein gar nichts zu relativieren", sagte Maas dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zeigte sich auf Twitter "geschockt und entsetzt". Ihr Stellvertreter, Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP), erklärte, das Verbrechen zeige, "wohin Hass und Hetze ein Land führen" könnten und wie tief die "Polarisierung der Gesellschaft" mittlerweile fortgeschritten sei: "Hanau ist ein GAU, in menschlicher aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht." Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) äußerte auf Twitter seine Solidarität mit den Betroffenen und ihren Familien. "Ich bin fassungslos, erschüttert und betroffen über dieses entsetzliche Verbrechen", schrieb er.
Reaktionen aus Brüssel
Auch in Brüssel löste die Tat Entsetzen aus. Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, erklärte bei Twitter: "Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Familien und Freunden." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat "zutiefst erschüttert" auf die tödlichen Schüsse von Hanau reagiert. "Meine Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer, denen ich mein aufrichtiges Beileid aussprechen möchte", erklärte die frühere Bundesministerin am Donnerstagmorgen auf Twitter. "Wir trauern heute mit Ihnen", fügte sie hinzu. Der Präsident des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs, Charles Michel, nannte den sinnlosen Verlust von Menschenleben "eine Tragödie".
Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sprach von der "schwersten Stunde, die unsere Stadt in Friedenszeiten je erlebt hat". Er erinnerte an das "gewachsene Miteinander" von Menschen aus verschiedenen Kulturen in Hanau. Dies sei seit Jahrhunderten eine gute Tradition in der Stadt. Es sei ein "wichtiges Signal, dass wir jetzt alle zusammenstehen", sagte Kaminsky. Die aktuelle Fastnachtskampagne in Hanau erklärte das Stadtoberhaupt für beendet.