"Ich hab im Traum geweinet" ist ein Film von Jan Bonny; der SWR wusste also, worauf er sich einließ. Der Regisseur hat bereits mit "Der Tod macht Engel aus uns allen" (2013), einem "Polizeiruf" aus München, für Diskussionen gesorgt: Die Bilder waren zwar nicht plakativ, aber für den Jugendschutz sind auch andere Merkmale wesentlich; die negative Weltsicht des Krimis, die gewalttätige Atmosphäre und der aggressive Umgangston waren für Kinder kaum geeignet. Bonnys höchst intensives, aber fürs durchschnittliche Fernsehpublikum völlig ungeeignete Drama "Über Barbarossaplatz" (2017) wurde von der ARD-Fernsehfilmkoordination gleich in den späteren Abend verschoben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der erste "Tatort" des Regisseurs, "Borowski und das Fest des Nordens" (2017), war ein Film über ungeschminkte Brutalität im Alltag. Für das Fasnachtsdrama gilt das nicht minder. Eine Geschichte im konventionellen Sinn erzählen Bonny und Koautor Jan Eichberg zunächst ohnehin nicht. Zum Krimi wird "Ich hab im Traum geweinet" – der Titel bezieht sich auf ein von Robert Schumann vertontes Heinrich-Heine-Gedicht, Filmmusikkomponist Jens Thomas singt noch weitere Lieder – erst nach einer guten halben Stunde. Bis dahin besteht die Handlung aus einer bizarren Mischung, die sich nicht gut anfühlt: Typische Bilder von der alemannischen Fasnet mit ihren gruseligen Masken und einer Stimmung latenter Bedrohlichkeit wechseln mit Sexszenen, die in Gewalt ausarten.
Viele Momente wirken wie improvisiert, was die Eindrücke noch authentischer erscheinen lässt. Tatsächlich hat Bonny seinen Darstellern viel Freiraum gelassen, weshalb Eichberg das Drehbuch regelmäßig an die Entwicklung der Handlung anpassen musste. Der Film vermittelt nicht zuletzt dank des häufigen Geschreis ohnehin eine gewisse Rohheit, was auch für die optische Anmutung gilt. Die Handkamera ist zum Teil fast schon unangenehm nah an den Figuren, aber die Schauspieler können bei Bonny stets viel freier agieren. Wo in anderen Krimis beispielsweise Befragungen sorgfältig inszeniert aussehen, verzichtet der Regisseur auf Schnitte und versetzt den Zuschauer mit Hilfe der Bildgestaltung (Stefan Sommer) in die Rolle eines teilnehmenden Beobachters.
Die vermeintliche Alltäglichkeit wird noch durch die Auswahl der Mitwirkenden verstärkt: Die beiden Episodenhauptdarsteller sind gänzlich unbekannt. Gerade für Darja Mahotkin werden die Dreharbeiten eine große Herausforderung gewesen sein. Sie spielt eine Krankenschwester, die in einer Schönheitsklinik arbeitet und von ihrer Vergangenheit als Prostituierte eingeholt wird. Gleich zwei Begegnungen mit früheren Freiern (Ronald Kukulies, Andreas Döhler) enden mit gewalttätigen Auseinandersetzungen; beide Männer können sich vorstellen, Erzeuger von Romys kleinem Sohn zu sein. Mittlerweile lebt die junge Frau mit einem Arzt (Andrei Viorel Tacu) zusammen, der sich wie ein Vater um den Jungen kümmert. Als der zweite Freier erschlagen in seinem Hotelzimmer gefunden wird, steht das Paar unter Mordverdacht.
Die Geschichte lebt in erster Linie von ihrer emotionalen Komplexität. Hätten Eichberg und Bonny sie als handelsüblichen Krimi erzählt, wäre umgehend deutlich geworden, wie schlicht sie letztlich ist; daran ändern auch die Gastauftritte von Bibiana Beglau (als Ehefrau des Mordopfers) und Silke Bodenbender (als Staatsanwältin) nichts. Die in Elzach (Breisgau) gedrehten Fasnachtsszenen haben mit der Krimiebene ohnehin nichts zu tun und dienen im Grunde nur als Vorwand für eine Art enthemmten Ausnahmezustand, der unter anderem zur Folge hat, dass das Ermittlerduo Tobler und Berg (Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner) nach einem feuchtfröhlichen Abend ebenfalls miteinander im Bett landet. Diesmal ist zwar keine Gewalt im Spiel, aber auch jetzt war es Bonny offenbar wichtig, bloß keine erotische Stimmung aufkommen zu lassen.
Die Fernsehfilmredaktion des SWR hat den Jugendschutzaspekt übrigens durchaus im Blick gehabt. Sie lässt wissen, dass sich der Film sich mit seinen Themenfeldern und der Erzählweise deutlich an Erwachsene wende: "Deren Gefühle und Bedürfnisse werden ernst genommen, ohne dass die Verhaltensweisen der Figuren beschönigt werden." Das sei für Jugendliche ab zwölf Jahren erkennbar.