"Racheengel" war ein atemlos geschnittener Hochspannungs-Thriller, in dem die Mitglieder der deutsch-französischen Ermittlergruppe einen Menschenhändler zur Strecke bringen wollten und eine Tochter auf Rache für ihren ermordeten Vater sann; "Rausch der Sterne" entspricht dagegen eher dem klassischen Krimimuster und zerrt daher längst nicht so an den Nerven. Die Bildgestaltung (Alexander Fischerkoesen) ist zwar erneut herausragend, aber das Erscheinungsbild ist gänzlich anders: Die Schnittfrequenz ist ungleich niedriger.
Diese Anmutung entspricht der Geschichte: Niko Sander (Carlo Ljubek), der deutsche Leiter des Gemeinsamen Zentrums (GZ), einer deutsch-französischen Ermittlergruppe im badisch-elsässischen Grenzgebiet vermutet, dass ein Nobelrestaurant bloß Fassade ist, um Drogengelder zu waschen. Das funktioniert ganz einfach: Geschäftsführerin Silke Steiner (Lana Cooper), die sich später zum Todesengel wandelt, gibt Umsätze in den Computer ein, die es gar nicht gegeben hat; und schon ist das Geld, das sie in die Kasse legt, sauber. Leni (Anke Retzlaff), die Tochter von Sanders ermordetem Vorgänger, wird als Küchenhilfe eingeschleust, um Beweise zu sammeln.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das klingt im Vergleich zu "Racheengel" fast entspannt, aber Regisseur Michael Rowitz sorgt dafür, dass auch im vierten Film immer noch mehr los ist als in den anderen Krimireihen. Die Handlung beginnt mit einem Überfall: Vier jugendliche Junkies klauen wertvolle Lebensmittel und stoßen dabei auf das Drogengeld. Unter den Gästen sind auch Sander und seine Freundin (Picco von Groote), die ausrastet, als eine junge Frau ihr den Verlobungsring vom Finger zieht. Es kommt zu einer Schießerei, in deren Verlauf die Diebin stirbt; ihr Freund (Vincent Krüger) schwört Rache.
Diesmal steht vor allem der GZ-Chef im Mittelpunkt, zumal der Film (Drehbuch: Carsten Unger) ein biografisches Detail aus dem ersten Film aufgreift: Sander ist als Kind von seinem Vater misshandelt worden. Fotos der toten Frau als kleines Mädchen zeigen die gleichen Wunden wie jene, deren Narben den Polizisten sein Leben lang begleiten werden. Beeindruckend ist vor allem die Beiläufigkeit, mit der diese Fakten vermittelt werden. Wo andere Regisseure dazu neigen, alles zu erklären, vertraut Rowitz ganz auf die Kraft der Bilder – mit einer Einschränkung: Was dem kleinen Niko widerfahren ist, wird nicht gezeigt. Schon im letzten Film gab es jedoch die Andeutung, dass ein Gürtel im Spiel war; diesmal erklingt ein entsprechendes Geräusch, das womöglich noch stärker schmerzt als eine Aufnahme der Misshandlung. Eine plakative, aber gleichfalls wirkungsvolle Szene verdeutlicht zudem, dass Sander nach dem Schuss auf die Diebin nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann: Er hat vergeblich versucht, sie zu reanimieren; später gelingt es ihm nicht, ihr Blut von seinen Händen abzuwaschen.
Auch wenn der optische Aufwand nicht so mitreißend ist wie bei "Racheengel": Die Bildgestaltung ist erneut von hoher Sorgfalt. Mit Ausnahme der in kühlem Grau gehaltenen Restaurantküche wirken die Farben diesmal satter. Gerade den Vernehmungsszenen im GZ ist anzusehen, dass Rowitz und Fischerkoesen nicht nach dem üblichen Schema vorgehen wollten. In vielen Krimis sind die Befragungsräume oft nur karg beleuchtet, hier dagegen sind sie regelrecht von Helligkeit durchflutet, was wie im ersten Film für ein ganz spezielles Licht sorgt. Für Leni haben sich Regisseur und Kameramann beiden ebenfalls etwas ausgedacht: Eine Gesichtshälfte Retzlaffs liegt in so vielen Einstellungen im Dunkeln, dass dies sicher kein Zufall ist; womöglich ist sie nur halb bei der Sache, weil der Tod ihres Vaters immer noch an ihr nagt. Im schönsten Moment des Films hat ihre Persönlichkeit den Sternekoch Michel (Aaron Karl) zu einem Dessert animiert, bei dessen Verzehr sie prompt an den Vater denken muss. Erneut herausragend ist die Musik (Helmut Zerlett), der den Szenen, in denen die Drogen eine Rolle spielen, ein eigenes Leitmotiv gegeben hat.