TV-Tipp: "Das kalte Herz" (Arte)

Alter Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Das kalte Herz" (Arte)
22.1., Arte, 20.15 Uhr
Als der Schwabe Wilhelm Hauff vor knapp zweihundert Jahren sein Märchen „Das kalte Herz“ veröffentlichte, war die industrielle Revolution bereits in vollem Gange. Obwohl der Schwarzwald damals wie heute fernab von den großen Wirtschaftszentren lag, bekamen die Menschen auch dort zu spüren, dass sich etwas änderte.

Der Beruf des Köhlers zum Beispiel war nicht mehr zeitgemäß; Kohle wurde in großem Stil in Bergwerken abgebaut. Es ist also kein Zufall, dass Hauff einen Kohlebrenner zum Helden seiner düsteren Erzählung machte: Weil Köhlersohn Peter (Frederick Lau) mit seinem Dasein unzufrieden ist, sucht er eines Tages das Glasmännlein (Milan Peschel) auf, einen Waldgeist, der Sonntagskindern drei Wünsche erfüllt. Der junge Mann wählt seine Wünsche allerdings nicht besonders klug, sodass er bald wieder mit leeren Händen da steht. Nun wendet er sich an den sogenannten Holländer-Michel (Moritz Bleibtreu), einem finsteren Unhold, der auf einer Gegenleistung besteht: Man muss sein Herz gegen einen Stein eintauschen. Stolz präsentiert er seine Sammlung: Jeder, der es im Schwarzwald zu Macht und Reichtum gebracht hat, zählt zu seinen Kunden. Peter, der das alles in kauf nimmt, um der schönen Glasmachertochter Lisbeth (Henriette Confurius) ein angemessenes Leben bieten zu können, wird von einem Tag auf den anderen hartherzig; und Lisbeths Liebe verliert er auch.

Im Unterschied zu den ungleich bekannteren Geschichten der Gebrüder Grimm ist "Das kalte Herz" kein typisches Kindermärchen; und deshalb ist auch die jüngste Verfilmung kein Kinderfilm. Interessanterweise orientiert sich Johannes Nabers Adaption allerdings weniger ans Hauffs Vorlage, sondern an Paul Verhoevens Defa-Werk aus dem Jahr 1950, das damals den Start der äußerst erfolgreichen ostdeutschen Kinderfilmtradition markierte. Gleiches hatte schon für Marc-Andreas Bocherts 2014 ausgestrahlte Märchenverfilmung fürs ZDF gegolten; beide Filme wirken daher wie ein Remake des DDR-Klassikers, zumal sie wie dieser auf die religiösen Elemente der Vorlage verzichten und dafür als Parabel über die Gier unverhohlene Kapitalismuskritik betreiben. Während sich der an Weihnachten ausgestrahlte ZDF-Film jedoch an die ganze Familie richtete, hatte Naber offenkundig ein mindestens jugendliches Publikum vor Augen, selbst wenn es seiner etwas konventionellen Inszenierung aus Sicht hollywood-verwöhnter Zuschauer an Tempo und Raffinesse mangeln dürfte. Das war schon bei seinem sehenswerten Kammerspieldrama "Zeit der Kannibalen" (2014) so; die Kapitalismus-Satire lebte von der originellen Geschichte und den Schauspielern. Diesmal kommt noch eine herausragende Bildgestaltung dazu: Kameramann Pascal Schmit hat bei der Beleuchtung offenbar konsequent auf künstliches Licht verzichtet, so dass viele Szenen im Zwielicht spielen; die Nachtaufnahmen erinnern an die Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich, eines Zeitgenossen von Wilhelm Hauff. 

Die fast noch größere Faszination des Films liegt jedoch in der Welt, die Naber geschaffen hat. Dank einer mutigen Mischung aus historischer Authentizität und eigener Fantasie haben Ausstattung und Kostüm den Schwarzwald gewissermaßen neu erfunden. Während die Waldgeister bei Hauff die Kleidung der verschiedenen Stände widerspiegeln, präsentieren sie sich hier mit einer Körperbemalung, die Naturvölkern nachempfunden wurde. Die typischen Schwarzwaldbilder sind in Loßburg und am Schluchsee entstanden, die Szenen mit dem Glasmännlein und dem Holländer-Michel im sächsischen Elbsandsteingebirge;das Dorf dagegen wurde auf dem Studiogelände in Potsdam-Babelsberg errichtet. Die ungewöhnliche Musik (Oliver Biehler) wurde vom Filmorchester Babelsberg eingespielt. Auch die gezielt eingesetzten Effekte erfüllen höchste Ansprüche. Endgültig großes Kino wird "Das kalte Herz" durch die namhafte Besetzung selbst kleiner Nebenrollen.