Wer schaut sich "Tatsächlich … Liebe" an? Mit Sicherheit notorische Romantiker oder einsame Singles, die immer noch nicht die Hoffnung auf das Glück aufgegeben haben. "Stirb langsam 1"? Menschen, die noch nie an die Romantik glaubten, sich stattdessen jedoch schon ein halbes Jahr auf ein richtig geiles Silvesterfeuerwerk mit Kanonenschlägen und Krach und Bumm und Peng freuen.
Apropos Action und Drama! Der Unterschied zwischen einem Actionfilm und Weihnachten ist für mich ganz einfach zu definieren: Bei diversen Actionfilmen wird die Spannung erhöht durch einen Countdown, der unweigerlich ankündigt, wann zum Beispiel die Bombe explodiert und im schlimmsten Fall eine ganze Stadt oder sogar einen Planeten in voller Gänze zerstört. Bis zum Heiligabend hingegen wird hochgezählt, vom 1. bis zum 24. Türchen eines Adventskalenders. Im Gegensatz zum Actionfilm fliegt am 24. dann unweigerlich alles, alles auseinander.
Und was sagt es eigentlich über mich aus, dass meine Lieblingsweihnachtsfilme "Die Geister die ich rief" und "A Very Murray Christmas" sind? Beide übrigens mit Bill Murray, diesen grundsätzlich grummeligen Griesgram? Nun gut. Was soll´s. Ihr habt mich erwischt.
Was haben diese Filme alle gemeinsam, vielleicht mit Ausnahme von "Stirb langsam"? Sie bringen einen zum Weinen, sie kitschen einen zu, sie kitschen einen voll, und am Ende wird alles, alles, alles gut. Da machen "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" keine Ausnahme, und auch "Der kleine Lord" lässt unsere Tränen auf die Couch tropfen.
Das bringt uns zur alles entscheidende Frage: Ist das, verdammt nochmal, der Kern des Weihnachtsfests? Sich rühren lassen, sich verdrehen lassen, das Herz schwer werden lassen – und beim Abspann der Filme glauben, dass die Welt dann doch nicht dieser schlimme, schlimme Ort ist, für den man sie gehalten hat?
Weihnachten ist Herzschmerz? Kitschkram? Tränen? Und Geschenke? Meine Frau nennt Weihnachten immer wieder das Fest des Baumes, und damit denkt sie verächtlich an die Menschen, die Weihnachten hollywoodisiert feiern. Konsum und Kitsch und statt Krippe eine Spielkonsole unter dem Weihnachtsbaum.
Das ist Weihnachten? Das ist doch nicht Weihnachten! Feiern wir das wichtigste christliche Fest im Jahr so, wie Hollywood es uns aufdiktiert? Mit Kitsch, Konsum und kurzen Kummerminuten?
Ich zeige Sascha Heiligenthal ein paar Trailer von Weihnachtsfilmen, um mit ihm über die wahre Bedeutung von Weihnachten zu reden. Der 44-Jährige ist Pfarrer der Philippus-Gemeinde in Mainz und kennt sich außerdem mit Popkultur aus.
Ist das Weihnachten, Herr Heiligenthal?
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Sascha Heiligenthal: Der Titel ist schon mal super! [lacht] Was soll man dazu sagen?
Es war doch alles enthalten: Weihnachtsbäume, Weihnachtsmusik, Kitsch.
Heiligenthal: Mit Weihnachten hat das nun gar nichts zu tun. So, wie sich das darstellt, würde der Plot genauso gut auch ohne Weihnachten funktionieren. Weihnachten scheint einfach bloß ein Bonus an Sondersetting mit Übersinnlichkeit zu sein, garniert mit Wundern, die geschehen und Zuckerguss und Liebe.
Ich hatte diesen Trailer ausgesucht auf Grund des Kitsches und der Rührseligkeit. Ist das nicht das Gefühl, das Weihnachten symbolisiert?
Heiligenthal: Das ist ja nichts Neues. Weihnachten ist, finde ich, ein deutungsoffenes und poetisches Fest, an das sich schon immer Dinge angeheftet haben, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben. Der Weihnachtsbaum hat ja zum Beispiel nichts mit Weihnachten zu tun, außer dass unsere germanischen Vorfahren damit irgendwelche Geister vertrieben haben. Das ist völlig normal, und der Weihnachtsbaum ist uns so vertraut, dass wir ihn überhaupt nicht mehr hinterfragen.
Ist Ihnen als Pfarrer zu wenig Weihnachten in Weihnachten?
Heiligenthal: Da nutzt kein Rumgeheule. An Weihnachten dockt sich einfach viel dran, was erst einmal wenig mit Weihnachten zu tun hat. Das aber auch in allen Schattierungen – manches passt gut zur Weihnachtsgeschichte: Da werden Menschen beschenkt. Da geben Menschen in Form von Geschenken Wertschätzung zurück. Es kommt natürlich auf das richtige Maß an. Wenn es nur noch um den Konsum und die Perfektion geht, ist es wieder nicht gut.
Das Rumkritisiere bringt aber nichts. Ich glaube, wir als Kirche können die Weihnachtsbotschaft, die uns wichtig ist, so verstehbar und positiv und kreativ rüberbringen, dass das, was wir meinen, was Weihnachten ist, gehört wird. Die Botschaft von Weihnachten ist allemal stark genug.
Also kann Hollywood ruhig Kitsch ins Weihnachtsfest mischen?
Heiligenthal: Gerade weil das Fest solch eine heilsgeschichtlich und theologische Bedeutung hat, muss es heruntergebrochen werden, um verstehbar und erlebbar zu werden. Was soll man über Gottes Liebe reden in einer abstrakten Form? Es muss für die Menschen deutlich und spürbar sein.
Als nächsten Trailer habe ich Ihnen "The Nightmare Before Christmas" von Tim Burton mitgebracht:
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Heiligenthal: Erschreckenderweise sieht man an solch einem Film, wie alt man geworden ist. Wie auch schon bei dem anderen Film: Es haften sich ans Weihnachtsfest, an diesen besonderen Tag, Erzählungen und Traditionen dran. Das Übernatürliche und damit auch die Geisterwelt, die in unserer kulturellen Ursuppe herumspukt, dockt sich an die Weihnachtsgeschichte an, siehe auch "Scrooge" und "Die Geister, die ich rief". Das ist auch dieser dunklen Dezemberzeit zuzuschreiben.
Und am Ende gibt es hollywoodmäßig dann auch im echten Leben ein Happy End, trivial gesehen?
Heiligenthal: Wobei ich bei Tim Burton nicht einmal sagen würde, dass es trivial ist. Im Prinzip sind diese zwei Filme, deren Trailer Sie mir gezeigt haben, sehr ähnlich. Es werden Geschichten erzählt, in denen es um Annäherung und Toleranz, Liebe und Verständnis und das ganz Banale Sich-Verlieben geht. Aber man sieht an den zwei Beispielen: Man kann aus genau dem gleichen Sujet einen Schundroman zaubern oder einen Weltroman.
Jetzt der dritte und letzte Trailer:
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Diesen Film habe ich letztes Jahr zum ersten Mal gesehen und werde ihn mir die nächsten Jahre wohl wieder als neue Tradition anschauen. Ein Vorteil für die Streamingdienste – so binden sie das Publikum an sich, wenigstens über die Festtage.
Heiligenthal: Meine Tochter steht unglaublich auf diese Musikszene im Knast und terrorisiert mit dem Lied seit mindestens einer Woche unsere Familie.
Ich finde den Film sehr schön, "The Christmas Chronicles" ist genauso kitschig wie andere Weihnachtsfilme auch. Außerdem gibt es Verfolgungsjagden und Actionszenen.
Heiligenthal: Ich kenne den Film sehr wenig, manche Teile dafür aber umso intensiver.
Die Musikszene?
Heiligenthal: Genau.
Obwohl ich die am schlimmsten im Film finde.
Heiligenthal: Wenn man sich diese Knastszene anschaut, ist das Element der Nächstenliebe darin enthalten – zum Beispiel die Annahme der ausgestoßenen Prostituierten und dadurch das Menschliche, das dadurch wiederentdeckt wird.
Ich bedanke mich bei Pfarrer Heiligenthal und denke noch einmal für mich selbst über Weihnachten nach.
Weihnachten, finde ich, ist der Endgegner des Jahres, nicht Silvester, wie viele Menschen denken, nur weil Silvester der letzte Tag des Jahres ist. Silvester kann man nämlich ganz alleine auf der Couch verbringen und sich "Willkommen 2020" im ZDF anschauen. Dann ist man mit den Moderatoren Johannes B. Kerner und Andrea Kiewel nicht ganz so allein.
An Weihnachten hat man die Verpflichtung, an dem Familienfest teilzunehmen. Teil der Familie zu sein. Das Jahr Revue passieren zu lassen. Oder man schafft es, schneller als seine Geschwister zu sein und bucht so schnell wie möglich einen Trip weit, weit weg. Ging halt nicht anders, die Pauschalreise nach Mir-doch-egal-wohin war ein Schnäppchen. Irgendwie würde sich das aber auch nicht richtig anfühlen.