Dass sich dieser von der ARD-Tochter Degeto in Auftrag gegebene Film über weite Strecken seiner insgesamt knapp 180 Minuten durch eine hintergründige Spannung auszeichnet, liegt ohnehin nicht zuletzt am Hauptdarsteller: Felix Klare, Partner von Richy Müller beim "Tatort" aus Stuttgart, verkörpert seine Figur gerade zu Beginn auf eine Weise, die den Architekten Alex Schwarz eher zwielichtig erscheinen lässt.
Der Mann ist vor sieben Jahren als Mörder seiner Frau verurteilt worden. Neben diversen Indizien, die gegen ihn sprachen, waren es vor allem zwei Aussagen, die ihn belastet haben: Sein damaliger bester Freund Sven (Florian Panzner) hat sein Alibi platzen lassen; und ein Mitgefangener in der Untersuchungshaft hat angegeben, Alex habe ihm den Mord gestanden. Als dieser Mann auf dem Sterbebett seine Aussage zurückzieht, muss der Architekt freigelassen werden. Kommissarin Katrin Jahnke (Britta Hammelstein) bekommt den Auftrag, mit den Ermittlungen bei Null anzufangen, und das möglichst unvoreingenommen, also ohne die Mithilfe des damaligen Soko-Leiters Jan Menhart (Steven Scharf). Das ist gar nicht so einfach, denn der Kollege ist ihr Lebensgefährte. Die Aufgabe entpuppt sich jedoch als erhebliche Belastungsprobe für die Beziehung, denn Katrin und ihr Team (Almila Bagriacik, Bernhard Conrad) stoßen recht bald auf Ungereimtheiten: Entweder hat die Soko damals äußerst schlampig gearbeitet; oder ihr Freund hat entlastende Zeugenaussagen ignoriert und die Indizien so manipuliert, dass am Ende nur noch Alex als Mörder in Frage kam.
Diese Ebene allein wäre schon spannend, zumal Katrin rausfindet, dass auch andere Beteiligte ein Motiv gehabt hätten, allen voran Marion (Anna Loos), die Schwester des Opfers: Die beiden Frauen hatten am Abend des Mordes einen heftigen Streit über Marions ungewollte Kinderlosigkeit. Eigenen Nachwuchs haben sie und ihr Mann (Godehard Giese) bis heute nicht, aber das Gericht hat ihnen das Sorgerecht für die Kinder von Alex zugesprochen, und das ist die zweite Spannungsebene: Natürlich will der Architekt, dass Lasse und Lena zu ihm zurückkommen, selbst wenn die beiden seit seiner Verhaftung nicht mehr gesehen hat. Die zwölfjährige Lena (Ruby M. Lichtenberg) hat überhaupt keine Erinnerungen mehr an ihn. Lasse, der bald 16 wird, sucht dagegen den Kontakt zu Alex. Die sowohl von Klare wie vor allem auch vom jungen Yuri Völsch sehr schön gespielten Vater/Sohn-Szenen sorgen dafür, dass der bis dahin finstere und von großem Zorn erfüllte Alex in anderem Licht erscheint. Trotzdem bleibt ein Restzweifel, zumal Menhart seine Freundin dringend vor den manipulativen Fähigkeiten des Architekten warnt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch von Florian Oeller, der für die ARD unter anderem die beiden Polit- und Wirtschafts-Thriller "Tödliche Geheimnisse" und "Tödliche Geheimnisse - Jagd in Kapstadt" geschrieben hat, basiert auf einer britischen Vorlage: "Innocent" (2018) ist als Miniserie für den Privatsender ITV entstanden. Ohne Kenntnis des Originals lässt sich natürlich nicht sagen, wem gewisse Schwächen anzulasten sind, zumal derlei oft auch eine Frage der Umsetzung ist. So sind zum Beispiel mit Ausnahme der Ermittlerin sämtliche weiblichen Figuren überzeichnet. Anna Loos muss als Schwester ständig am Abgrund der Hysterie entlang balancieren; ein deutlicher Kontrast zur ansonsten sehr sachlichen Inszenierung. Außerdem wird Marion mehr und mehr zum Monster, weil sie Lena nach Lasses Annäherung an Alex geradezu beschwört, dass der Vater ein Mörder sei, der die Mutter außerdem dauernd geschlagen habe. Svens Ex-Frau Marie (Alexandra Finder) ist eine geldgierige Schlange, und seine Zweitfrau (Lisa Bitter) lässt umgehend das gemeinsame Kind abtreiben, als sie sich von ihm trennt.
Die ohnehin unnötig ausführlich erzählten Nebenebenen sind ein Grund dafür, warum dem ansonsten durchweg fesselnden Zweiteiler, den die ARD am Stück zeigt, im letzten Drittel etwas die Puste ausgeht. Regie führte Nicolai Rohde, der zuletzt für Sat.1 den ausgezeichneten "Julia Durant"-Thriller "Mörderische Tage" inszeniert hat. Mehr als sehenswert war auch zumindest einer seiner beiden Filme Prag-Krimis ("Wasserleiche", 2018) sowie sein Beitrag zur Craig-Russell-Reihe, "Brandmal" (2015, alle ebenfalls für die Degeto entstanden). Rohdes Filme zeichnen sich in der Regel durch eine mindestens sorgfältige, meistens bemerkenswerte Kameraarbeit aus. Das Besondere an Felix Novo de Oliveiras Bildgestaltung bei "Unschuldig" ist die Farbgebung, die für eine triste spätwinterliche Stimmung sorgt, was noch durch den Verzicht auf bunte Elemente intensiviert wird. Kleidung, Ausstattung, Atmosphäre, das Wetter (gedreht wurde in Eckernförde): alles grau. Wärme kommt zunächst nur dank der Beziehung zwischen Katrin und ihrem Freund auf, aber selbst das hat sich irgendwann erledigt. Mindestens ein Ohr wert ist auch die unaufdringliche, aber präsente Musik von Annette Focks. Gleiches gilt für das Spiel von Britta Hammelstein, die ihre Kommissarin bei den Befragungen mit einem stillen Lächeln versieht.