TV-Tipp: "Wilsberg: Schutzengel" (ZDF)

Alter Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Wilsberg: Schutzengel" (ZDF)
30.11., ZDF, 20.15 Uhr
Man muss schon ein bisschen filmverrückt sein, um einen ganzen Abend lang über "MacGuffins" zu diskutieren. Laut Alfred Hitchcock, der den Begriff vermutlich geprägt hat, ist ein "MacGuffin" ein Gegenstand, der zwar keinen tieferen Sinn hat, aber dennoch maßgeblicher Motor einer Filmhandlung ist. Lässt man die einschränkende Beliebigkeit beiseite, wimmelt es in Sagen, Märchen, Opern, Literatur und Filmgeschichte geradezu vor MacGuffins.

Werke wie "Der Ring der Nibelungen", "Der Herr der Ringe" und mehrere "Harry Potter"-Abenteuer leben davon, dass die Hauptfiguren wie besessen bestimmten Objekten der Begierde nachjagen, ganz zu schweigen von all’ jenen Abenteuerfilmen, in denen es um den Heiligen Gral, die Bundeslade oder andere Reliquien geht.

Im Rahmen eines ganz normalen "Wilsberg"-Krimis mag dieser Exkurs etwas abschweifig erscheinen, aber der Film legt die Vermutung nahe, als habe der MacGuffin am Anfang gestanden: Lass’ uns doch mal eine Geschichte erzählen, in deren Zentrum ein von Hand zu Hand wandernder Gegenstand ist, von dessen Bedeutung die Beteiligten aber nichts wissen – und was wäre dafür besser geeignet als ein Kugelschreiber, den man achtlos einsteckt. Tatsächlich könnte das gute Stück jedoch aus einem Agentenfilm stammen, denn in dem schlichten Gehäuse verbergen sich Kamera und Mikrofon; und selbstverständlich spielen die Aufzeichnungen bei der abschließenden Auflösung eine entscheidende Rolle.

Jetzt musste "Wilsberg"-Stammautor Eckehard Ziedrich nur noch eine originelle Handlung rund um den Kuli gestalten. Allerdings fällt "Schutzengel", auf die kriminalistische Ebene reduziert, im Rahmen der Reihe nicht weiter aus dem Rahmen. Es geht um das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und um jene, die davon auf illegale Weise profitieren. Rund um dieses Thema hat Ziedrich eine Geschichte entwickelt, in die das gesamte Ensemble auf schlüssige Weise verwickelt ist. Die Handlung beginnt mit einer Geburtstagsüberraschung: Privatdetektiv Wilsberg (Leonard Lansink) will seiner Freundin Anna Springer (Rita Russek) zum bevorstehenden Geburtstag eine gemeinsame Kreuzfahrt schenken. Der schöne Plan platzt, als ihm der Umschlag mit den entsprechenden Ersparnissen geklaut wird. Derweil steckt Springers Mitarbeiter Overbeck (Roland Jankowsky) in einem ungleich größeren Schlamassel: Er ist zufällig Zeuge eines Kiosküberfalls geworden, aber der Mann, den er überwältigt hat, war der Sohn des Besitzers; der Täter ist mit seiner Pistole geflohen. Es kommt zu einer internen Untersuchung, bei der Personalrätin Susanna Havenstein (Tina Pfurr) auf Overbecks lange Liste früherer Verfehlungen hinweist. Der Kommissar hatte mal was mit der kompakten Kollegin, was er im Gegensatz zu ihr am liebsten aus seinem Gedächtnis streichen würde. Kurz drauf wird die Frau in ihrer Wohnung mit seiner Dienstwaffe erschossen, und weil ihn eine Nachbarin am Tatort gesehen hat, steht Overbeck nun als Mörder da. 

Mit dem Kugelschreiber hat das alles im Grunde nichts zu tun, aber der Stift ist fast immer dabei, wenn was Wichtiges passiert. Auf diese Weise kann Regisseur Martin Enlen die einzelnen Szenen geschickt miteinander verknüpfen. Erste Besitzerin ist Havenstein, die auch das Einbruchsdezernat leitet; sie bekommt das Gerät vom Besitzer einer Firma für Sicherheitstechnik. Nach ihrem Ableben ist der Kuli mal bei Anwältin Alex (Ina Paule Klink), die sich Overbecks Fall annimmt, und dann beim Finanzbeamten Ekki (Oliver Korittke). Der würde sich gern mal die Bücher des zwielichtigen Ex-Polizisten "Ugly Joe" Sundermann (Milton Welsh) vornehmen. Dessen Unternehmen für Personen- und Objektschutz ist irgendwie in die Sache verwickelt, zumal Sundermann, der einst mit Overbeck auf Streife gegangen ist, dem früheren Kollegen zugesagt hat, sich seiner Probleme anzunehmen; und dazu gehört auch Chefin Springer, die nach einem Unfall mit Fahrerflucht im Koma liegt.

Dank Enlens Inszenierung und einer klugen Montage bietet sich die komplizierte Geschichte, die noch diverse weitere Um- und Abwege nimmt, erstaunlich flüssig dar. Was der Umsetzung fehlt, ist gerade gemessen an Enlens letzten beiden "Wilsberg"-Beiträgen, "Gottes Werk und Satans Kohle" sowie "Minus 196 Grad" (beide 2019), ein gewisser Pfiff; der Film besteht größtenteils aus Gesprächsszenen. Das ist für Reihenkrimis zwar nicht ungewöhnlich, fällt hier aber besonders deutlich auf, zumal trotzdem nicht alle Fragen geklärt werden. Spaß macht "Schutzengel" dennoch, weil das Ensemble gut funktioniert und viele Dialoge von einem klugen Witz sind. Die mit Abstand schönste und bewegendste Szene ist allerdings ein Zusammenschnitt aus früheren Episoden, als Wilsberg an Annas Krankenbett gemeinsame Momente der letzten zwanzig Jahre durch den Kopf gehen.