Bei speziellen Fällen wird das Duo aus Wien aber nach wie vor in die Provinz geschickt. Dabei kommt es regelmäßig zu jenen Konfrontationen, von denen auch viele Episoden der ORF-Reihe "Landkrimi" leben: Überhebliche Städter treffen auf einheimische Kollegen, denen sie nicht allzu viel zutrauen.
In "Baum fällt" sollen Eisner und Fellner (Harald Krassnitzer, Adele Neuhaus) nach dem verschwundenen Sohn des einflussreichen Kärntner Unternehmers Tribusser suchen. Als sie eintreffen, ist der Mann allerdings wieder aufgetaucht, oder richtiger gesagt: das, was von seinem Tode übrig blieb – ein künstliches Schultergelenk. Tribusser junior leitete zu Lebzeiten das vom Vater übernommene Sägewerk und ist im werkseigenen Brennofen verbrannt; ohne den Titaneinsatz hätte es keinerlei Spuren gegeben. Fortan funktioniert der Film nach dem üblichen Krimischema: Das Drehbuch präsentiert diverse Verdächtige, die der Reihe nach befragt werden. Hubert Tribusser war Single, hatte aber, wie die Rückblenden offenbaren, allerlei Affären, darunter auch mit der Schwägerin, was seinem Bruder verständlicherweise missfiel. Außerdem gab’s regelmäßig Ärger mit einem Umweltschützer; und ein Hotelier ist nicht gut auf die Tribussers zu sprechen, seit sein Sohn bei einem Arbeitsunfall in der Holzfabrik ums Leben gekommen ist. Eine(r) wird’s schon gewesen sein, und da alle ein passables Motiv hätten, ist es am Ende im Grunde egal, wer’s war.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Vergleich zu dem großen Rad, an dem das Duo aus Wien sonst gern mal drehen darf – Mafia, Menschenhandel, Machenschaften von Geheimdiensten – ist der Fall in "Baum fällt" doch recht unspektakulär. Drehbuchautorin Agnes Pluch hat für Regisseur Nikolaus Leytner unter anderem das herausragende Alzheimerdrama "Die Auslöschung" (2013, mit Klaus Maria Brandauer und Martina Gedeck) sowie "Am Ende eines Sommers" (2015) geschrieben, die mit viel Feingefühl erzählte Geschichte eines jungen Mannes, der mit einer kapitalen Lebenslüge aufgewachsen ist. Ihr gemeinsames Weltkriegsdrama "Die Kinder der Villa Emma" (2018; alle ARD) über die Flucht jüdischer Kinder nach Palästina orientierte sich allerdings viel zu sehr an der typischen Machart historischer Werke.
Leytner hat für sein Krimidrama "Ein halbes Leben" (2009, ZDF) den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis bekommen und zuletzt fürs Kino die berührende Literaturverfilmung "Der Trafikant" (2018) über die Freundschaft zwischen einem Jugendlichen und Sigmund Freud gedreht. Gemessen an seinen sonstigen nicht nur thematisch großen Filmen wirkt "Baum fällt" wie eine jener Zwischenübungen, die der Österreicher immer wieder mal einschiebt; für den "Landkrimi" hat er zum Beispiel die Episode "Drachenjungfrau" geschrieben, einen sehr österreichischen Heimatkrimi aus dem Salzburger Land. In diese Richtung geht nicht zuletzt dank des ausgeprägten Dialekts und trotz der stellenweise recht packenden elektronischen Musik von Matthias Weber auch sein eher gemütlich inszenierter zweiter ORF-"Tatort" (der erste war der Mafia-Krimi "Operation Hiob", 2010): Eisner, der überhaupt keine Lust auf den Einsatz in der Provinz hat, darf wie gewohnt schlechte Laune verbreiten und alle möglichen Menschen vor den Kopf stoßen, was aber dank Harald Krassnitzer, ebenfalls wie gewohnt, sehr amüsant ist. Die Dialoge, soweit verständlich, machen ohnehin großen Spaß.
Das gilt erst recht für das Zusammenspiel des Hauptdarstellers mit Karl Fischer (hierzulande als treuer Begleiter von Commissario Brunetti in den Donna-Leon-Verfilmungen bekannt). Es sind in erster Linie ihre gemeinsamen Szenen, die den Krimi sehenswert machen, zumal es den Anschein hat, als hätten sich die beiden alten Hasen gegenseitig zu großer Spielfreude angestachelt. Zunächst erkennt Eisner den Kollegen gar nicht, aber dann stellt sich raus, dass sie vor langer Zeit schon mal zusammengearbeitet haben und vorübergehend befreundet waren; damals gehörte Alois Feinig noch zum LKA Klagenfurt. Irgendwann hatte er es satt, Angehörigen Todesnachrichten zu überbringen, und hat sich an den Fuß des Großglockners zurückgezogen.
Der feinsinnige Feinig gibt im Verlauf der Geschichte mehrfach buddhistische Weisheiten zum Besten, und eine hat sich Leytner offenbar zu Herzen genommen: Das Leben birgt viele Umwege; die Kunst besteht darin, sich an der Landschaft zu freuen. In Kärnten ist es in der Tat sehr schön (gedreht wurde in Heiligenblut und Umgebung), weshalb der Regisseur und sein bevorzugter Kameramann Hermann Dunzendorfer die Gegend ähnlich ausgiebig zeigen wie in einem ARD-Freitagsfilm. Eine Nacht mit etwas Arbeit und viel Bier sorgt dafür, dass der Ermittler aus der Stadt und der örtliche Polizeichef wieder beste Kumpel werden; fortan ziehen sich als gemeinsames musikalisches Leitmotiv diverse Stones-Klassiker durch den Film. In Fellner erweckt die Kumpanei jedoch einen gewissen Argwohn. Vielleicht ist die Majorin auch ein bisschen eifersüchtig, aber vor allem fragt sie sich, ob ihr Partner nicht ein paar Augen zuviel zudrückt.