TV-Tipp: "Stralsund: Doppelkopf" (ZDF)

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TV-Tipp: "Stralsund: Doppelkopf" (ZDF)
23.11., ZDF, 20.15 Uhr
Wenn ein Krimi mit einer Vorlesung beginnt, muss man kein alter Hase sein, um zu ahnen: Hier geht’s bereits um die Auflösung eines Falls, der sich noch gar nicht ereignet hat.

Zum Auftakt der "Stralsund“-Episode mit dem eher irritierenden als hilfreichen Titel "Doppelkopf“ erklärt ein Kriminalkommissar dem Nachwuchs, warum sich Zeugenaussagen über ein und dasselbe Ereignis so oft widersprechen; daher sei es entsprechend wichtig, Pseudoerinnerungen auszuschließen. Mit dieser Einführung im Hinterkopf ist die Geschichte, die Drehbuchautor Andreas Kanonenberg erzählt, doppelt interessant, zumal sich die Handlung um eine äußerst faszinierende Figur dreht.

Der Film beginnt mit einem Strandausflug von Familie Weber. Die Kinder spielen im Sand, die Mutter (Dagmar Leesch) nimmt mit sichtbarer Missbilligung zur Kenntnis, dass der Gatte (Patrick von Blume) seine nicht Augen nicht von der auffallend attraktiven jungen Frau im Nachbarstrandkorb lassen kann. Ein zweiter Mann beobachtet kurz drauf, wie die Schönheit den Strand verlässt und Weber ihr nachgeht. Als später die Leiche der Frau gefunden wird, bittet die Polizei alle Standbesucher zur Befragung ins Präsidium. Der zweite Mann stand gar nicht auf der Liste, kommt aber trotzdem und gesteht im Gespräch mit Kommissarin Nina Petersen (Katharina Wackernagel) nicht nur diesen, sondern auch einen weiteren Frauenmord. Seibert (Therese Hämer), die Leiterin der Kriminalpolizei, frohlockt: Fall gelöst. Zu diesem Zeitpunkt ist der Film jedoch erst 25 Minuten alt, das wäre selbst für eine Serienfolge recht früh; und tatsächlich entwickelt sich die Geschichte nun in eine völlig unerwartete Richtung.

Weil Reihenfiguren selten aus ihrer Haut dürfen, bleibt es meist den Gastdarstellern überlassen, Würze in eine Episode zu bringen. Bei "Stralsund“ ist das erst recht nötig, seit die 2009 gestartete Reihe ihr Alleinstellungsmerkmal verloren hat: Die ersten zehn Folgen lebten überwiegend von den Zwistigkeiten innerhalb des Teams, dessen Mitglieder ein doppeltes Spiel trieben oder des Verrats bezichtigt wurden. Von der ursprünglichen Besetzung sind nur noch Katharina Wackernagel und Alexander Held (seit Folge zwei) dabei. Die Animositäten zwischen dem Ermittlerduo und der Chefin sind bloß noch ein müder Abklatsch der einstigen Feindseligkeiten. Diesmal legt die Vorgesetzte dem einbeinigen Hidde nach nicht bestandener Diensttauglichkeitsprüfung einen Wechsel in den Innendienst nahe; weigert er sich, käme das einer Kündigung gleich.

Weil diese Auseinandersetzungen auch darstellerisch längst nicht mehr so interessant sind, ist die Mitwirkung von Simon Schwarz umso wichtiger, zumal er in "Doppelkopf“ eine Figur verkörpert, wie es sie im TV-Krimi nicht alle Tage gibt: Peter Thies ist gewissermaßen der ideale Täter. Mit "kooperativ“ ist seine Form der Zusammenarbeit nur unzureichend beschrieben. Der Mann ist höflich und zuvorkommend, hat perfekte Manieren und ist derart geständig, dass Petersen ahnt: Hier stimmt was nicht. Die Indizien untermauern sein Geständnis jedoch: In seiner Wohnung entdecken die Polizisten das  Bikinioberteil der Toten, an seinem Hemd klebt ihr Blut. Dass sich an der Leiche nicht nur seine, sondern auch die DNS-Spuren eines anderen Mannes finden, kann alle möglichen Gründe haben. Für Seibert besteht kein Zweifel: Thies ist der Mörder, zumal er bei einem weiteren Frauenmord Wissen offenbart, über das abgesehen von den Ermittlern nur der Täter verfügen kann.

Weil Petersen trotzdem Zweifel hat, kommt es zu einer überraschenden Umkehr der üblichen Vorgehensweise: Normalerweise sucht die Polizei nach Beweisen für die Schuld eines Verdächtigen. In diesem Fall muss jedoch der Täter beweisen, dass er die Morde begangen hat; und dann gibt ausgerechnet Hiddes Vorliebe für die Musik von Männerchören dem Fall eine völlig neue Wendung, die Thies endgültig zur tragischen Figur werden lässt. "Doppelkopf“ erzählt also eine durchaus originelle Geschichte, aber dennoch ist es Simon Schwarz, der den Film über den Durchschnitt hebt. Als Thies zu Beginn kurz am Strand zu sehen ist, wirkt er verzweifelt. Bei seinen Auftritten im Präsidium strahlt er jedoch wie jemand, der soeben die Pforten der Wahrnehmung durchschritten und nun eine frohe Botschaft zu verkünden hat. Diese Verklärtheit verkörpert der Österreicher ohne jede Ironie und mit einer regelrechten Inbrunst.

Umso frappierender ist die Klischeehaftigkeit einer anderen Figur: Zwischendurch schaut der Film immer wieder beim Ehepaar Weber vorbei, ein leicht zu durchschauendes dramaturgisches und zudem ärgerliches Manöver, weil Dagmar Leesch die ewig nörgelnde Ehefrau als Spielverderberin, Spaßbremse und Nervensäge verkörpern muss. Dieser Frauentypus zieht sich durch viele Fernsehfilme; im Grunde grenzt die Häufung solcher Figuren an Sexismus. Davon abgesehen zeichnet sich Thomas Durchschlags Krimi durch eine hintergründige Spannung aus, für die nicht zuletzt die sehr präsente Musik (Oliver Kranz) sorgt, die die Bilder mit viel Atmosphäre auflädt. Der Regisseur hat in den letzten Jahren nicht viele Filme gedreht, aber sehenswert waren sie alle, zum Beispiel "Ich gehöre ihm“ (2017), ein Drama über ein naives Vorortmädchen, das auf einen "Loverboy“ reinfällt und schließlich auf dem Strich landet, oder "Holger sacht nix“ (2011), ein Heimatfilm der etwas anderen Art. Dass "Doppelkopf“ auf einem authentischen schwedischen Fall basiert, macht die Geschichte noch ungewöhnlicher.