Die ersten Filme waren nicht zuletzt vom Zwist zwischen der ursprünglichen Hauptfigur und ihrer Tochter Julia geprägt, immerhin hatte die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass) im Affekt den eigenen Gatten und somit auch Julias Vater getötet. Für Julias Nachfolgerin als Polizeichefin, die bei ihr zur Untermiete wohnt, entwickelt Lossow zwar gleichfalls mütterliche Gefühle, aber der Umgang miteinander ist ein ganz anderer. Roter Faden der Filme ist nun das Trauma der dänischen Kommissarin Ellen Norgaard, die als Kind die Mutter verloren hat; die Spuren der Frau haben sich auf Usedom verloren. Als eine sogenannte Wachsleiche ans Ufer gespült wird, glaubt Ellen, bei der Toten könnte es sich um die sterblichen Überreste ihrer Mutter handeln.
Wachs- oder auch Fettleichen sind nicht mit Sauerstoff in Berührung gekommen und daher kaum verwest; in diesem Fall ist der Leichnam von einem dänischen Waffenbergungskommando zufällig auf dem Meeresgrund aufgesammelt und wieder ins Wasser geworfen worden. Das war wohl ein Fehler, den nun beginnt eine Ereigniskette, an deren Ende gleich zwei Verbrechen aufgeklärt werden. Dass die Dänen die gefundenen Granaten an einen gesuchten Verbrecher verscherbeln, ist als Nebenebene im Grunde nur deshalb interessant, weil es sich beim Drahtzieher dieses Deals um Ellens einstige große Liebe handelt. Bei einem früheren Delikt des Mannes hat sie sogar ein entscheidendes Indiz verschwinden lassen. Als er jetzt auf Usedom auftaucht, wird sie prompt wieder schwach.
Rikke Lylloff hat die Usedom-Krimis mit ihrer natürlichen Sympathie eindeutig aufgefrischt, aber auch ihr dänischer Landsmann Martin Greis-Rosenthal macht seine Sache gut; anders als in den ebenfalls donnerstags ausgestrahlten Auslandskrimis der ARD-Tochter Degeto, in denen immer alle deutsch können, dürfen die Dänen in ihrer Muttersprache miteinander sprechen. Inhaltlich spannender ist allerdings die zweite Ebene: Bei der Leiche handelt es sich mitnichten um Ellens Mutter, sondern um eine vor einigen Jahren verschwundene Psychotherapeutin. Zu deren Patienten gehörte nicht nur Staatsanwalt Brunner (Max Hopp), was zu einigen amüsanten Wortwechseln zwischen dem Juristen und der Kommissarin führt, weil Ellen ihm eine Romanze mit der Frau unterstellt, sondern auch Ada, die kleine Tochter von Raik Harms (Ronald Kukulies); das Mädchen war wegen des Verlustes seiner Mutter in Behandlung.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auf diese Weise sind die beiden Ebenen geschickt miteinander verknüpft, denn Harms hat ebenfalls ein Unternehmen für die Bergung jener Sprengstoffe, die von deutschen Schiffen gegen Ende des zweiten Weltkriegs ins Meer geworfen worden sind, damit sie nicht dem Feind in die Hände fallen. Weil die dänische Konkurrenz preiswerter arbeitet, steht der Betrieb vor der Pleite. Ein offenkundiges Mordmotiv hat der Unternehmer zunächst nicht; das ändert sich, als sich Ellen näher mit seiner Tochter beschäftigt. Dem Mädchen kommt mehr und mehr eine Schlüsselrolle zu. Entsprechend wichtig war Adas Besetzung. Mit der jungen Anaïs Sterneckert haben die Verantwortlichen eine ausdrucksstarke Darstellerin für das in sich gekehrte Kind gefunden. Viel Dialog hat sie nicht, aber meist genügt es tatsächlich, wenn sie bloß guckt. Reizvoll ist auch die Ausstattung von Adas Welt: Das Kind verbringt seine Zeit größtenteils in einem Schuppen voller Puppen, die in ihrer Skurrilität leicht gruselig wirken.
Neben der abwechslungsreichen Handlung beeindruckt „Strandgut“ ohnehin durch die vorzügliche Arbeit der verschiedenen Gewerke. Regie führte Andreas Herzog, der sich seine Meriten vor allem durch einige ausgezeichnete Beiträge zur ZDF-Krimireihe „Unter Verdacht“ verdient hat; seine ruhige und sachliche Inszenierung entspricht exakt dem Gehalt der Geschichte. Herzog hat auch die Auftaktepisode „Mörderhus“ (2014“) gedreht. Damals war der Tonfall ernst und dramatisch; schon in der vorletzten Usedom-Episode, „Geisterschiff“, haben jedoch sympathische kleine Humoresken für Abwechslung gesorgt. Die Dialoge sind ohnehin oftmals ziemlich clever; Sarah Schnier und Carl-Christian Demke feiern mit „Strandgut“ ihr Drehbuchdebüt im Rahmen der Reihe. Herausragend ist erneut die abwechslungsreiche Musik von Colin Towne, der zwischendurch mit klassischen Psychothriller-Klängen für Spannung sorgt.