"Die Kirche sollte zuhören, bevor sie predigt"

Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer
© epd-bild/Juergen Blume
Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer blickt auf die Tagesordnung der bevorstehenden Syode der EKD in Dresden.
"Die Kirche sollte zuhören, bevor sie predigt"
Interview mit Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer
Am 10. November kommt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu ihrer jährlichen Tagung in Dresden zusammen. Es geht um Frieden, Missbrauch und eine bessere Einbindung junger Menschen in Entscheidungen der Kirche. Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer blickt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf die Tagesordnung.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland kommt in diesem Jahr am zweiten Novemberwochenende - und damit am 30. Jahrestag des Mauerfalls - in Dresden zusammen. Welche Bedeutung hat der historische Tag bei der Synode?

Irmgard Schwaetzer: Das historische Datum wird sich durchaus wie ein Faden durch die Synode ziehen, auch wenn wir keine spezifische Gedenkfeier geplant haben. Am Sonntagabend (10. November) wird es unter anderem eine Veranstaltung geben, die auch unter dem Titel der Synode - "Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens" - steht. Es drängt sich natürlich die Frage auf, was dazu geführt hat, dass es eine friedliche Revolution vor 30 Jahren war. Das soll dort eine Runde mit Menschen ostdeutscher Sozialisation - Friedensaktivisten von damals und heute - erörtern.

Rund um den 30. Jahrestag hat sich auch eine Diskussion darüber entwickelt, ob man die Ostdeutschen zu lange nicht gehört hat. Gilt das auch für die Kirche?

Schwaetzer: Was auch mir im Nachhinein erst klargeworden ist: Wir haben uns damals so wegschwemmen lassen von der Euphorie, dem Glück und der Zukunftshoffnung. Das spiegelte sich in allen Gesprächen, die ich auch damals schon als Bauministerin und stellvertretende FDP-Vorsitzende geführt habe. Wir haben dabei nicht genügend beachtet, was die Menschen im Osten unter miserablen Bedingungen eigentlich geleistet haben. Wenn es uns gelänge, in diesem Jahr deutlich zu machen, dass uns das leid tut - das fände ich gut.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hat kürzlich gesagt, gerade angesichts des Mitgliederverlusts kann die Kirche viel von den Christen im Osten lernen. Sehen Sie das auch so?

Schwaetzer: Voneinander zu lernen ist immer gut. Und es lohnt sich, genau hinzuschauen, welche Debatten die Kirche in der DDR beispielsweise über ihre Positionierung zum Staat - teilweise heftig - geführt hat. Die Situation, die wir heute haben, ist aber eine vollkommen andere, weil wir heute im Unterschied zur Situation in der DDR, Kirche in einer Demokratie sind. Lernen können wir aber auch von dem Einfallsreichtum und Engagement der Gemeinden im Osten, die sich aus einer Minderheitensituation heraus lebendig in die Gesellschaft einbringen.

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In Sachsen ist die AfD mit dem bisher höchsten Ergebnis (27,5 Prozent) in den Landtag eingezogen. Dresden ist der Gründungsort von "Pegida". Fahren Sie mit einem mulmigen Gefühl dorthin?

Schwaetzer: Nein. Ich kenne Dresden seit 1970, bin jedes Jahr dort gewesen auf Verwandtenbesuch. Ich habe den Zerfall der Stadt ebenso erlebt wie den Wiederaufbau mit dem Aufbau der Frauenkirche. "Pegida" ist nicht alles. Aber wir müssen dort auch mit vielen Menschen diskutieren. Ich wünsche mir, dass das noch viel intensiver gemacht wird. Hass und Hetze muss jeder einzelne von uns entgegentreten.

" Hass und Hetze muss jeder einzelne von uns entgegentreten."

Abgesehen von diesen aktuellen Themen: Womit wird sich die Synode beschäftigen?

Schwaetzer: Es steht viel auf der Tagesordnung. Das Hauptthema Frieden ist natürlich viel breiter als der Rückblick auf die friedliche Revolution. Es wird darum gehen, dass Frieden bei uns zu Hause anfängt und was die Kirche tun kann, um die Spaltung der Gesellschaft zu heilen. Der Blick richtet sich nach Europa und auf die neuen Bedrohungen: Cyber-War, automatisierte Kriegsführung, die eine Trennung in zivil und militärisch kaum noch möglich macht. Wir wollen deutlich machen, dass Krieg immer in einer persönlichen Verantwortung bleibt und nicht auf Algorithmen ausgelagert werden darf. Es geht um ethische Grundsätze, die Frage von Atomwaffen und nicht zuletzt den Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und Frieden - es ist ein breiter Bogen gespannt.

Sie sprechen von der Verantwortung der Kirche für die Überwindung von Spaltung. Wo sehen Sie die Aufgabe konkret?

Schwaetzer: Kurz gesagt: Die Kirche sollte zuhören, bevor sie predigt. Die irrationalen Ängste, die verbreitet sind und nicht wegdiskutiert werden können, brauchen ein offenes Ohr. Gleichzeitig muss die Kirche die frohe Botschaft von der Liebe Gottes erlebbar werden lassen. Konkret heißt das, in persönlichen Gesprächen, speziellen Segnungsgottesdiensten oder Andachten Ängste aufzugreifen.

Wird auch das Thema Missbrauch eine Rolle spielen? Die Synode im vergangenen Jahr hat beim Thema Missbrauch umfassende Aufklärung verlangt und den Landeskirchen Unterstützung bei der Aufarbeitung versprochen.

Schwaetzer: Der gesamte Dienstagvormittag wird dem Thema gewidmet. Der eingesetzte Beauftragtenrat der EKD wird seinen Bericht abgeben. Dann sprechen außerdem der Unabhängige Beauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, und eine Betroffene zur Synode. Danach wird es Workshops zu speziellen Themen geben. Seit der vergangenen Synode ist bei dem Thema viel passiert.

Was genau?

Schwaetzer: Der Beauftragtenrat zum Schutz gegen sexualisierte Gewalt hat die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen konsequent vorangetrieben. So steht beispielsweise seit dem 1. Juli die "Zentrale Anlaufstelle.help" in Zusammenarbeit mit der Fachberatungsstelle Pfiffigunde in Heilbronn für Betroffene zur Verfügung und hilft, die richtigen kirchlichen Ansprechpartner zu finden. Zudem wurde eine Richtlinie zum Schutz vor sexualisierter Gewalt erarbeitet und beschlossen. Und die Ausschreibung für ein Aufarbeitungsstudie ist auch erfolgt, natürlich immer unter Einbeziehung von Betroffenen.

Die Synode beschließt auch den Haushalt der EKD. Wird es Geld geben für das geplante Rettungsschiff im Mittelmeer?

Schwaetzer: Das soll nicht aus Kirchensteuermitteln finanziert werden, sondern aus Spenden. Insofern betrifft es den Haushaltsausschuss der Synode am Rande, wenn etwa Arbeitszeit von Mitarbeitern betroffen ist.

Im vergangenen Jahr wurde auch deutlich, dass angesichts sinkender Mitgliedszahlen künftig genauer aufs Geld geschaut werden muss. Zeichnen sich im neuen Haushalt schon Einsparungen ab?

Schwaetzer:
Nein. Solange die Einnahmen noch sind wie sie sind, muss man zusehen, dass man ordentlich etwas in die Rücklage packt. Genau das geschieht selbstverständlich auch. Aber das hält uns natürlich nicht davon ab, sehr genau zu überlegen, welche Veränderungen notwendig sind, damit wir unsere gute Botschaft auch künftig lebendig und kraftvoll weitergeben können.

Die Zukunft der Kirche - das machen insbesondere Sie immer wieder deutlich - hängt auch davon ab, wie sie die junge Generation begeistert. Es wurde viel über neue Formate und Beteiligung junger Menschen diskutiert. Passiert jetzt auch etwas?

Schwaetzer: Es soll dazu sogar ein Gesetz beschlossen werden. Wir wollen künftig eine andere Form der Auswahl von Jugendsynodalen. Jede der 20 Landeskirchen, die mehr als zwei Synodale in das Parlament der EKD entsenden, soll verpflichtet werden, dass mindestens ein junger Erwachsener in den 20ern dazugehört. Das trifft auf zwölf Landeskirchen zu. Zusätzlich soll der Rat der EKD acht Jungsynodale berufen. Damit hätten wir - bei einer dann um acht Plätze gewachsenen Synode - eine sichere Quote von 18 Prozent junger Menschen - mit vollem Mitsprache- und Stimmrecht.