Als kurz hintereinander zwei junge Frauen auf ganz ähnliche Weise ermordet werden, mutmaßt die Analytikerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) angesichts typischer Merkmale, dass der Täter schon früher getötet hat. Tatsächlich stößt das Ermittlerteam auf einige ganz ähnliche Verbrechen, die jedoch lange zurückliegen; aus irgendeinem Grund scheint die finstere Seite des Mörders wieder erwacht zu sein.
Schon beim vorletzten Fall, "Für Janina" (2018), führte die Spur in die Vergangenheit; in der fesselnden Geschichte hat das Duo König und Buckow (Charly Hübner) einen drei Jahrzehnte zurückliegenden Mord an einer jungen Frau gelöst, allerdings mit unlauteren Mitteln. Ebenso interessant wie die Ermittlungsebene war die Frage, ob das Ermittlerduo anschließend überhaupt noch zusammenarbeiten kann. Die besondere Qualität der Krimis aus Rostock liegt ohnehin in der Basis, die Regisseur Eoin Moore in den ersten Filmen geschaffen hat, als König den Kollegen wegen seiner Verbindungen zur Organisierten Kriminalität überwachen sollte. Später deckte er sie, nachdem sie einen Mann verprügelt hatte; als sie sich zu der Tat bekannte, musste er sich wegen der Falschaussage verantworten. Kein Wunder, dass das Verhältnis der beiden mehr als angespannt ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Seltsamerweise ist von alldem im zwanzigsten gemeinsamen Fall gar keine Rede; das Duo harmoniert miteinander, als wäre nie was vorgefallen. Erst spät kommt zur Sprache, dass Bukow der Kollegin vom LKA nicht mehr vertrauen kann. Dem Misstrauensvotum zum Trotz gibt es gleich zwei Momente innigster Nähe; dieses Wechselbad der Gefühle, das sich seit dem Start 2010 durch die gesamte Reihe zieht und im Grunde eine verkappte Liebesgeschichte ist, macht einen nicht unerheblichen Reiz der Kombination Bukow/König aus, die schauspielerisch ohnehin zu den besten Teams im ARD-Sonntagskrimi gehört. Deshalb ist es nur recht und billig, dass Hübner und Sarnau in "Der dunkle Zwilling" einen Mit- und Gegenspieler auf Augenhöhe bekommen haben: Simon Schwarz spielt den Umzugsunternehmer Kern, auf den allerlei Indizien hindeuten.
Zur eigentlichen Ermittlerin wird jedoch Kerns Tochter Marla (Emilia Nöth). Sie hat mitbekommen, dass das Auto ihres Vaters nach der ersten Mordnacht voller Blut war. Kern sagt, er habe einen Hund überfahren und in die Tierklinik gebracht. Das Mädchen wird misstrauisch, aber Kern kann zeigt ihr die Blutlache auf der Straße; ein Flugblatt mit entsprechender Vermisstenanzeige zerstreuen ihre letzten Zweifel. Auch gegenüber der Polizei ist der joviale Unternehmer völlig kooperativ. Auch deshalb würde er geradezu perfekt in das Profil passen, das König von dem Täter erstellt hat: ein scheinbar harmloses Mitglied der Gesellschaft, das geschickt seine monströse Seite verbirgt. Weil sich der Verdacht jedoch nicht erhärten lässt, konzentrieren sich die Ermittlungen auf einen Mann, der von seiner Frau (Angela Winkler) angezeigt worden ist: Jan Hansen (Alexander Beyer) hatte Kontakt zu einem der Opfer, produziert düstere Zeichnungen, schlägt die Gattin und benimmt sich wie ein typischer Krimiverdächtiger.
Im Grunde hätte es dieser Nebenebene nicht bedurft, zumal sich Damir Lukacevic hier einiger Versatzstücke bedient, die der Film gar nicht nötig hat. Der Regisseur und Drehbuchautor ist vor einigen Jahren durch den kleinen, aber sehr überzeugenden Science-Fiction-Film "Transfer" (2010) aufgefallen, der auf besondere Weise vom Traum der ewigen Jugend erzählte. Zweite Regiearbeit war ein fesselndes und intensiv gespieltes Drama mit Tobias Moretti als Vater, der sein halbes Erwachsenenleben mit der Suche nach dem Mörder seines Sohnes verbringt ("Im Namen meines Sohnes"). Lukacevics Sonntagsdebüt erzählt jenseits der Krimiebene vor allem von den Paarbeziehungen zwischen Bukow und König, Vater und Tochter sowie dem Ehepaar Hansen, wobei es allerdings ein gewisses Gefälle gibt; Angela Winkler zum Beispiel verkörpert die misshandelte Ehefrau, wie sie solche verhärmten Figuren schon seit vierzig Jahren spielt. Da die Hansens nicht als Ehepaar eingeführt werden, wirken sie wegen des großen Altersunterschieds zudem wie Mutter und Sohn.
Bei der jungen Emilia Nöth wiederum hätte Lukacevic auffallen müssen, dass sie in einigen Situationen schlicht überfordert ist. Das darstellerische Kräftemessen zwischen Hübner, Sarnau und Schwarz ist allerdings faszinierend, zumal der Österreicher den Unternehmer gerade im Umgang mit seiner Tochter durchaus sympathisch verkörpert. Die drei Hauptdarsteller sorgen dafür, dass die gelegentlichen Schwächen des Films nicht weiter ins Gewicht fallen; das Finale ist ohnehin angemessen dramatisch. Die Herleitung des Titels ist zudem echt gruselig; wer hätte gedacht, dass man schon als Mörder zur Welt kommen kann.