Wie wurden Sie Teil der von der Nikolakirche ausgehenden Protestbewegung?
Uwe Schwabe: Mich hat 1984 einfach mal jemand dorthin mitgenommen - und das war ein Glücksfall. Ich bin kein Christ, aber man traf dort auf junge Leute, die ganz anders tickten und nicht nur alles nachbeteten, was von oben verlangt wurde. Die redeten ganz offen über gesellschaftliche Probleme und wollten wirklich etwas verändern. Für mich war das wie eine Schule der Demokratie, in der man gelernt hat, andere Meinungen zuzulassen und Argumente auszutauschen.
Wie ist es gelungen, diesen Geist der Kritik, auch des Protests, in die Öffentlichkeit zu tragen?
Schwabe: Wir haben Ende der 80er Jahre gesagt, dass wir Demonstrationen in der Öffentlichkeit machen müssen. Die Überlegung war, wie man die Menschen emotional erreichen kann. Da bot sich das Umweltthema an, denn das betraf jeden. Wir haben dann 1988 den ersten Pleiße-Gedenkumzug organisiert. Demonstration durfte das nicht heißen, denn die waren verboten. Die Pleiße war damals ja im Grunde gar kein Fluss mehr, war in einem katastrophalen Zustand und verlief zum Teil in Rohren. Das war also ein Umzug im Gedenken an einen Fluss, den es kaum noch gab. Es kamen ungefähr 300 Leute. Für uns war das ein Symbol, dass es die Bereitschaft gab, öffentlich gegen Missstände in diesem Land aufzutreten.
Diese und weitere Aktionen, auch die Montagsdemonstrationen, gingen im Ursprung von der Kirche aus, speziell von der Nikolaikirche. Welche Bedeutung hatte die Kirche für die friedliche Revolution?
Schwabe: Die Kirche hat eine riesengroße Rolle gespielt. Natürlich gab es auch Pfarrer, die jeden Protest abgelehnt haben und nie Räume zur Verfügung gestellt haben. Genug andere haben es aber getan - und das war eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir uns überhaupt versammeln konnten. Es gab in der DDR viele Menschen, die eigentlich Journalisten oder Juristen werden wollten, aber gesagt haben, unter diesen Umständen in diesem Land können sie das nicht machen. Die wurden dann oft Theologen, da hatte man eine gewisse Freiheit und die Ausbildung war staatsfern. Dadurch sind dann in der Kirche später viele Gruppen entstanden - und das war eine Grundbedingung für das, was dann zur Wendezeit passiert ist. Ohne die evangelische Kirche wäre das nicht möglich gewesen.