Die ersten Reaktionen waren gemischt: "Schöne Idee!", lobten die einen. "Was soll der Zirkus?", argwöhnten andere. Mitten im Einkaufstrubel der Karlsruher Innenstadt ist der "1. Ökumenische Segnungsgottesdienst für Mensch und Tier" gefeiert worden. Vor der katholischen Kirche "St. Stephan" versammelten sich rund 150 Frauchen und Herrchen mit ihren Hunden. Zudem wurden zwei Hasen, eine Katze und ein Spatz gesegnet. Immer wieder blieben Passanten stehen, schauten der Zeremonie ein Weilchen zu. Einige schmunzelten, manche blickten sichtlich irritiert. Tierschutzverein und Tierinitiativen informierten an Ständen über ihr Engagement.
Nach dem Tiergottesdienst waren sich der evangelische Pfarrer Dirk Keller und der katholische Pastoralreferent Alexander Ruf einig: 2020 werden wir wieder gemeinsam Haustiere segnen. "So ein Tiergottesdienst tut jeder Kirchengemeinde gut", sagt Dirk Keller. Dem Pfarrer der evangelischen Stadtkirche Karlsruhe fallen spontan fünf Gründe ein:
1. Stichwort: Missionarische Gemeinde
Die Menschen kommen sonntags nicht mehr so selbstverständlich wie früher in die Kirche. "Mit Aktionen wie dem ökumenischen Tiergottesdienst gehen wir dorthin, wo Menschen unterwegs sind", sagt Keller. "Wir wollten mit der Aktion gezielt Tierfreunde ansprechen. Aber auch neugierigen Passanten die Möglichkeit bieten, spontan dabei zu sein." Dafür liegt die katholische Kirche "St. Stephan" ideal: Mitten in der City, wo samstags Einkaufsbummler aus dem Karlsruher Umland vorbeischlendern. "Mir geht es weniger darum, Menschen für die Kirche zu gewinnen", betont Pfarrer Keller. "Ich möchte sie vor allem neugierig auf den Glauben machen."
2. Ökumene wird gestärkt
Den Tiergottesdienst hat die evangelische Stadtkirche gemeinsam mit ihrer katholischen Nachbargemeinde St. Stephan vorbereitet. Die Ökumene ist Dirk Keller wichtig. "Unsere Welt braucht heute den gemeinsamen christlichen Auftritt", ist er überzeugt. Der Pfarrer stellt immer wieder fest: Die Menschen fragen weniger, was katholisch oder evangelisch, sondern was christlich ist. "Mit solchen Gottesdiensten können wir den Menschen unsere christlichen Gemeinsamkeiten vor Augen führen", sagt Keller. Die Ökumene befruchtet beide Kirchengemeinde und ist zugleich eine geistliche Horizonterweiterung. "Zum Beispiel bringen die Katholiken eine schöne Tradition von Tiersegnungen mit", sagt Keller. Bei dem Gottesdienst verwendete der evangelische Pfarrer erstmals ein Aspergill – ein liturgisches Gerät, das in der katholischen Kirche zum Segnen mit Weihwasser verwendet wird. Das Segenszeichen durch das Besprengeln mit Weihwasser zu spüren, war besonders für die Evangelischen eine neue Erfahrung, die gut ankam.
3. Kirche gewinnt neue Partner vor Ort
Bei dem Themen-Gottesdienst arbeiten die Kirchengemeinden mit Initiativen und Organisationen zusammen, die an demselben Thema dran sind. "Im Vorfeld des Tiergottesdienstes haben wir geschaut, wer in der Stadt sich alles um Tiere kümmert", sagt Keller. Ob Tierschutzverein, Zoogeschäfte, Initiativen für Tiere: Mit ihren Ständen umrahmten sie den Tiergottesdienst und informierten über ihr Engagement für Tiere. "Es hat gut getan, diese Aktion gemeinsam mit Menschen zu entwickeln, die bislang eher wenig Berührungspunkte mit den Kirchen hatten", sagt Keller. "So kommt jeder aus seiner eigenen Blase heraus." Aus Erfahrungen mit anderen Themen-Gottesdiensten weiß Keller, dass sich langsam, aber sicher ein Netzwerk entwickelt, das weitere gemeinsame Aktionen erleichtert. Schnittmengen mit kirchenferneren Lebenswelten entstehen. "Es ist wichtig, dass Kirche sichtbar ist und als Partner auftritt", sagt Keller.
4. Tier-Thema bringt Gemeinde in Glaubensfragen weiter
Pfarrer Keller kündigte den Tiergottesdienst zunächst auf Facebook an. "Erste Reaktionen kamen schnell und waren gespalten", berichtet er. Viele lobten die Idee. Einige waren skeptisch. Der Tiergottesdienst hat Diskussionen in der Gemeinde angeregt: Haben Tiere ein Bewusstsein? Macht es Sinn, einen Hund zu segnen? Wo in der Bibel werden Tiere gesegnet? "Das Thema hat nicht wenigen Mitgliedern unserer Gemeinde einen Impuls gegeben", stellt Keller fest. "Sie beschäftigen sich aus einem neuen Blickwinkel heraus mit ihrem Glauben." Ob Kinder, Eltern, Singles oder Senioren - Tiere spielen im Alltag vieler Mitglieder der Gemeinde eine wichtige Rolle. Der Tiergottesdienst regt Gespräche über das Verhältnis von Mensch und Tier im Alltag an, berichtet Keller. Tiere sind Lebensbegleiter, aber auch Nahrungsmittel: Fragen der artgerechten Haltung werden angesprochen. Aber auch selbstkritisches Hinterfragen des eigenen Konsum-Verhaltens. "Mit dem Tiergottesdienst ist in der Gemeinde auch inhaltlich etwas neu in Bewegung gekommen – das ist innerhalb der Kirche wichtig." Das Thema schärft das Bewusstsein dafür, was für ein Segen Tiere für Menschen sind, sagt Keller: "Es sensibilisiert für einen achtsameren und verantwortungsbesussteren Umgang mit Tieren." In Karlsruhe hat der Tiergottesdienst auch ganz praktische Folgen. Engagierte der "Offenen Kirche" diskutierten nach dem Tiergottesdienst das Für und Wider, Hunde ins Gotteshaus zu lassen oder nicht. Ergebnis: An der Leine dürfen Hunde von nun an mit in die Kirche.
5. Engagement in der Gemeinde wird gefördert
Oft sind es die "üblichen Verdächtigen", die sich in Kirchengemeinden engagieren. Bei außergewöhnlichen Angeboten wie dem Tiergottesdienst bringen sich eher auch Menschen ein, denen das Thema am Herzen liegt. Die Idee zur ökumenischen Segnung von Haustieren mitten in der Innenstadt hatte Andreas Gold. Er ist Mitglied der Gemeinde und Initiator der Karlsruher Bürgerinitiative "Erhaltet die Hundebeutel". Bei der ökumenischen Tiersegnung brachten sich Ehrenamtliche ein, die erstmals beim Vorbereiten eines Gottesdienstes geholfen haben. In Gesprächen vor und nach dem Tiergottesdienst hat der Pfarrer Menschen kennengelernt, die offen sind für solche Aktionen, auf die er bei anderer Gelegenheit zugehen kann. Keller stellt immer wieder fest: "Gottesdienste zu speziellen Themen wecken Neugier und fördern das Engagement in der Gemeinde."