Eigentlich seltsam, dass ausgerechnet ein erfahrener Thriller-Regisseur wie Marcus O. Rosenmüller, der auch das Drehbuch geschrieben hat, keinen spannenderen Film aus diesem Stoff gemacht hat. "Flucht durchs Höllental" wirkt über weite Strecken wie ein Projekt, mit dem ein Produzent (in diesem Fall Hans-Hinrich Koch, Neue deutsche Filmgesellschaft) einem treuen Mitarbeiter einen Gefallen getan hat, weil Hans Sigl nach zwölf Staffeln und weit über hundert Episoden als "Bergdoktor" (ebenfalls ndF) endlich mal einen Fiesling spielen wollte. Tatsächlich ist der Jurist ein ganz anderer Typ als der sympathische Mediziner Martin Gruber, was sich vor allem Umgang mit der 17jährigen Tochter zeigt: Burg hat Alina (Leonie Wesselow) auf ein teures Internat abgeschoben; das Mädchen hat öfter Kontakt mit der Sekretärin (Johanna Gastdorf) als mit dem Vater. Als sie ihm während eines gemeinsamen Wochenendes im Luxushotel eine Szene macht, weil er selbst beim Frühstück nicht von der Arbeit lassen kann, kommt es zum lautstarken Krach inklusive Ohrfeige. Auch deshalb ist die Polizei überzeugt, er habe dem Mädchen etwas angetan, als im Bad der gemeinsamen Suite eine große Blutlache entdeckt wird.
Für Sigl war Maserati-Fahrer Burg bestimmt eine willkommene Abwechslung, zumal der Anwalt fast eine Action-Rolle ist: Weil Mandant Wendt (Christian Redl) nach der Ermordung seiner Freundin ins Gebirge geflüchtet ist, muss der nicht gerade trainiert wirkende Burg allerlei Strapazen auf sich nehmen. Mal stürzt er einen Abhang hinunter, mal spießt er sich in einen Ast in den Oberschenkel. Dass er anschließend zwar kaum laufen, aber eine Steilwand hinaufklettern kann, ist mindestens ebenso unglaubwürdig wie sein gezielter Pistolenschuss auf eine im Flug befindliche Drohne. Aber Sigl gibt alles, was Rosenmüller offenbar entsprechend würdigen wollte: Immer wieder zeigt die Kamera (Peter Joachim Krause) das schmerzverzerrte Gesicht in Großaufnahme. Die Darstellerführung ist ohnehin nicht immer glücklich.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dabei hätte "Flucht durchs Höllental" nicht zuletzt dank der spektakulären Aufnahmen mit abenteuerlichen Wanderungen an gähnenden Abgründen (Drehort war die Tiroler Region Brandenberg) ein richtig guter Film werden können. Die Geschichte im Hintergrund - Rosenmüllers Drehbuch basiert auf einer Vorlage von Wolf Jakoby - ist ohnehin interessant: Wendt ist BKA-Beamter bei der Abteilung Organisiertes Verbrechen, seine Freundin ist die Schwester des Mafia-Anführer Enzo Battista (Tonio Arango). Ihr Restaurant dient nicht nur der Geldwäsche, hier lagert auch die sorgfältig geführte Buchhaltung der Gangster. Als Battista die Unterlagen abholt, lässt sie eine der Mappen, auf der sich zudem die Fingerabdrücke ihres Bruders befinden, verschwinden; das ist der eigentliche Startschuss für die Jagd durch die Alpen.
Rosenmüller durfte einigen Aufwand betreiben; Burg wird nicht nur von einem alpinen SEK-Team, sondern auch von einem Hubschrauber mit Wärmebildkamera verfolgt. An Bord ist ein Spitzel Battistas. Er hat den Auftrag, den Anwalt zu ermorden, was nicht ganz sinnvoll ist, denn Burg soll die Gangster doch zu Wendt führen. Damit es neben Alina und der nicht sonderlich überzeugenden Einsatzleiterin (Karen Böhne) noch eine richtige Frauenrolle gibt, wird Burg von der Tochter seines Mandanten begleitet; Maja Wendt (Marleen Lohse) ist praktischerweise Bergführerin. Am Ende überwindet der Anwalt selbstredend alle Strapazen und wird Alina endlich ein richtiger Vater. Trotzdem macht es weitaus mehr Spaß, dem Gegenspieler zuzuschauen, weil Tonio Arango den Mafiaboss mit viel Süffisanz versieht. Das unterscheidet diese Figur ganz gewaltig von der des Anwalts, den Burg ohne jede Selbstironie verkörpert.
In die Filmografie von Rosenmüller passt die Produktion mit ihrer wechselvollen Qualität allerdings recht gut. Der Regisseur hat seine Karriere einst mit der skurrilen Kinokomödie "Der tote Taucher im Wald" (2000) begonnen und seither vorwiegend Krimis und Thriller fürs Fernsehen gearbeitet. Einige seiner zuletzt stets fürs ZDF entstandenen Arbeiten waren richtig gut, andere bloß Durchschnitt, etwa die ersten "Taunus-Krimis" nach Nele Neuhaus; als Rosenmüller aus den Romanen Zweiteiler machen durfte, wurde die Reihe deutlich besser. Ähnlich sehenswert waren zuletzt "Und tot bist Du!" (2019), ein 180 Minuten lang spannender Schwarzwald-Krimi mit reizvoll rätselhafter Geschichte, sowie der erste "Sarah Kohr"-Film mit Lisa Maria Potthoff ("Mord im Alten Land", 2018). Aber es gibt eben auch immer wieder Filme wie "Tödliche Gefühle" (2016), in denen Rosenmüller zwar tolle Hochglanzbilder produziert, aber nicht die nötigen Emotionen vermittelt. Das Manko von "Flucht durchs Höllental" ist ein anderes: Für einen Thriller ist der Film schlicht nicht packend genug, von einigen Logiklöchern ganz zu schweigen.