Gerade die Drehbücher von Friedrich Ani (Koautorin: Ina Jung), dem unter anderem dank der "Tabor Süden"-Romane vermutlich bekanntesten bayerischen Kriminalschriftsteller, waren derart münchnerisch, dass eine Verpflanzung der Handlung in eine andere Metropole kaum möglich gewesen wäre. Das von Alexander Held, Bernadette Heerwagen und Marcus Mittermeier unnachahmlich verkörperte Ermittler-Trio wirkt ohnehin wie ein typisches Ani-Ensemble. Episoden wie zuletzt "Leben und Sterben in Schwabing" (2019) lebten daher nicht zuletzt von der Verwurzelung der Hauptfiguren in ihrer Stadt. Sascha Bigler, Regisseur der letzten beiden Filmen der ZDF-Reihe, hatte zuvor schon mit "Kommissar Pascha" (ARD) gezeigt, dass er genau der Richtige für Anis mitunter etwas speziellen Humor ist.
Gemessen an diesen Maßstäben fällt "Die Unterirdischen" etwas aus dem bisherigen Qualitätsrahmen. Der neunte Fall für Ludwig Schaller, Angelika Flierl und Harald Neuhauser ist zwar nicht schlecht, aber ohne die unkonventionellen Methoden des Abteilungsleiters wäre der Film über weite Strecken ein ganz normaler TV-Krimi, der sich auch in Hamburg oder Berlin zutragen könnte: Nach dem Fund einer Leiche stößt das von Kriminaloberrat Zangel (Christoph Süß) in den Keller des Dienstgebäudes ausgelagerte Trio auf einen geheimen Club, in dem sich wohlhabende Geschäftsleute nach Feierabend die Zeit vertreiben. Der gutgelaunte Clubbetreiber Schildt (Wolfgang Fierek) sorgt neben gutem Champagner und exquisitem Essen auch für weibliche Begleitung, versichert jedoch, die attraktiven jungen Damen dienten ausschließlich der Konversation. Der Tote, ein bekannter Gastronom, hat es offenbar zu weit getrieben, konnte jedoch nicht ahnen, dass Miriam (Giulia Goldammer), sein Opfer, Journalistin war. Miriams Wohnung ist verwüstet, sie selbst verschwunden; und jetzt nehmen sich Schaller und Neuhauser den Club vor, wo sie zu ihrer Verblüffung auf Zangel treffen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte hat einen gewissen Reiz, auch wenn das Schwarzweißschema – skrupellose alte weiße Männer, wehrlose junge Frauen – etwas schlicht anmutet. Der Club heißt "VRUS", was nicht für Virus, sondern für "We are us" stehen soll; das ist dann doch wieder typisch münchnerisch, schließlich entspricht das Clubmotto eins zu eins dem Slogan des berühmtesten Fußballvereins der Stadt ("Mia san mia"). Wirklich originell sind aber nur die Ideen am Rande, etwa der Einfall, dass die Leiche des Gastronoms in einem Friedhofscontainer für Grünabfälle deponiert worden ist; prompt kriegt eine Besucherin einen Riesenschreck, als Schaller aus dem Behälter krabbelt. Die entsprechenden Dialoge über die fehlende Notwendigkeit von Überwachungskameras auf dem Gelände ("Hier bricht keiner aus") sind ebenfalls witzig. Skurrile Nebenfiguren, sonst ein Markenzeichen Anis, gibt es diesmal jedoch nicht; immerhin sorgt Fierek für ein gewisses Flair.
Neben dem Drehbuch macht vor allem der Wechsel auf dem Regiestuhl einen großen Unterschied zu den letzten Filmen aus. Jan Fehse war viele Jahre lang ein gefragter Kameramann, der zwischendurch immer wieder mal selbst inszeniert hat. Seine Filme, darunter das vorzüglich besetzte Debütdrama "In jeder Sekunde" (2008) oder das in nur vier Drehtagen entstandene Kammerspiel "Jasmin" (2012), waren ebenso sehenswert wie die Heimatgroteske "Storno - Todsicher versichert" (2015). Für den ZDF-"Spreewaldkrimi" hat er mit "Tödliche Heimkehr" (2018) erstmals einen Krimi inszeniert, der sich jedoch perfekt ins herausragende Niveau der Reihe einfügte. Einziger Ausreißer in seiner Filmografie war bislang "Unter deutschen Betten" (2017), eine nicht weiter der Rede werte Kinokomödie mit Veronica Ferres als Schlagersängerin, die als Putzfrau arbeiten muss.
Fehses Arbeit mit den Schauspielern ist allerdings auch in "Die Unterirdischen" ausgezeichnet, wobei die Beiläufigkeiten den größten Spaß machen, wenn beispielsweise Fräulein Flierl nach der Containeraktion ihres Chef durch ein Stück Grünzeug an seinem Mantel hochgradig irritiert ist. Trotzdem fehlt dem Film nicht nur die Kurzweiligkeit, sondern auch der Charme der früheren Episoden, selbst wenn Angelika Flierl und Jochen Schildt in melancholisch-nostalgischer Eintracht der Vergangenheit nachtrauen. Gleich in der ersten Szene stellt die Kommissarin fest, die Stadt werde immer größer, während sie sich immer kleiner fühle, und der Clubbetreiber seufzt: "München gibt’s gar nicht mehr."