Fürstentümer und Wohnzimmer-Gurus

Matthias Pöhlmann, landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
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Matthias Pöhlmann, landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen.
Fürstentümer und Wohnzimmer-Gurus
Seit 50 Jahren gibt es in der evangelischen Kirche in Bayern einen Sektenbeauftragten
Hausverbot beim Universellen Leben, Beratung für Sektenaussteiger und Beobachtung der Sektenszene: Alles andere als langweilig sind die Aufgaben auf der kirchlichen Stelle, die an diesem Wochenende ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Die bundesweit erste Dienststelle eines Landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen begeht ihr Jubiläum im Wildbad Rothenburg. Der Ort selbst hat sogar eine Sekten-Vorgeschichte. 1977 wollte dort die Sekte "Gesellschaft für Transzendentale Meditation" ihre "Residenz des Zeitalters der Erleuchtung" einrichten. Daraufhin kaufte die evangelische Kirche das ehemalige Heilbad, erinnert Matthias Pöhlmann im epd-Gespräch. Er hat die Stelle des Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten seit 2014 inne.
23.09.2019
epd
Jutta Olschewski

Herr Pöhlmann, die sogenannten Armbrustmorde von Passau - das hat sich jetzt herausgestellt - waren der Suizid einer kleinen Sekte. Früher hätte das die Gemüter bewegt und es wäre Thema in jeder zweiten Talkshow gewesen. Ist das Thema Sekten nicht mehr so interessant?

Matthias Pöhlmann: Das Interesse ist schon da, aber man wusste in diesem Fall lange nichts über die Hintergründe, es wurde viel gemutmaßt. Und wir haben es in den letzten Jahren verstärkt mit sogenannten Wohnzimmergruppen zu tun. Das sind sehr kleine Gruppen, in denen es aber eine sehr hohe Verbindlichkeit gibt. Früher hatten wir das Phänomen von größeren geschlossenen Gruppen, Moon-Bewegung oder Bhagwan und schon Scientology waren Themen der 1970er und 1980er Jahre. Das hat sich sehr verändert. Durch den Pluralismus und den Veränderungsprozess in der Gesellschaft haben wir es mit einer Vielzahl von kleinen, aber oft auch konfliktträchtigen Gruppen zu tun.

Sie sagen also, die Fälle, mit denen Sie sich heute befassen, ergeben sich aus der Individualisierung, dem Pluralismus der Gesellschaft...

Pöhlmann: ... und der Säkularisierung. Das sind starke Veränderungen und das hat auch dazu geführt, dass sich die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft verändert hat. Die Kirchen sind nur ein Anbieter unter vielen. Das war 1969, als die Stelle gegründet wurde, noch ganz anders. Das Feld war einigermaßen überschaubar. Aber mein Vorvorgänger Friedrich-Wilhelm Haack hat in akribischer Sorgfalt eine Findungshilfe sowie zahlreiche Broschüren und Bücher über Sekten und religiöse Bewegungen für unsere Gemeinden geschrieben. Es ist erstaunlich, was es damals schon alles gab.

Haack ist ja von der Presse als "Geisterpfarrer" bezeichnet worden. Er und sein Nachfolger Wolfgang Behnk haben die Sekten wie Scientology und Universelles Leben verfolgt und sind von ihnen verfolgt und verklagt worden. Wie ist das bei Ihnen?

Pöhlmann: Es gibt bis heute konfliktträchtige Gruppen, die Kritiker einschüchtern möchten. Das Wichtigste ist für mich: sachliche Aufklärung und dabei den eigenen Standpunkt nicht verleugnen. Manche dieser Gruppen haben sich stärker dem Umfeld angepasst. Die Scientologen werden heute vom Verfassungsschutz beobachtet und versuchen daher durch Tarnorganisationen wie "Der Weg zum Glücklichsein" oder "Sag nein zu Drogen" für die eigenen Ziele zu werben.

Warum halten Sie diese Beobachtung durch den Verfassungsschutz weiterhin für wichtig?

Pöhlmann: Ich betrachte Scientology als eine totalitäre Organisation, deren Ideologie völlig überzogene Heilsversprechen und antidemokratisches Gedankengut vertritt.

"Sie haben einen erleuchteten Meister, ein rettendes Rezept und sind eine gerettete Gemeinschaft"

Politische Ziele verfolgt beispielsweise auch die Reichsbürger-Bewegung. Sind die auch ein Thema für den Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten?

Pöhlmann: Unbedingt. Es zeigt sich darin ein Verschwimmen der Grenzen. Auf der einen Seite haben wir es hier mit stark ideologischen Gruppen zu tun, andererseits zeigen uns Berichte von Aussteigern, dass es eine innere Nähe zu esoterischem Gedankengut gibt. Es gibt Entwicklungen wie das "Fürstentum Germania", das in einem Gutshaus in der Prignitz seinen Sitz hatte. Da war die Rede von kommissarischen Reichsregierungen. Das sind die Vorläufer der Reichsbürgerszene. Mir ist aufgefallen, dass bei ihr rechte Esoteriker auftreten wie Jo Conrad, der behauptet, dass auf der Rückseite des früheren Personalausweises ein Teufelskopf abgebildet sei. Oder Peter Fitzek, der in Wittenberg sein "Königreich Deutschland" gegründet hatte. Andere vernetzen sich sehr stark mit Strömungen wie der problematischen Anastasia-Bewegung, die auch in Bayern aktiv ist.

In der Gründungszeit ihrer Stelle ging es viel um Jugendsekten. Wie sieht es da heute aus?

Pöhlmann: Pfarrer Haack hat den Begriff der Jugendreligionen geprägt und festgestellt, dass sie drei gemeinsame Kennzeichen haben: Sie haben einen erleuchteten Meister, ein rettendes Rezept und sind eine gerettete Gemeinschaft. Das hat sich heute durch andere Kommunikationsmöglichkeiten verändert. Wir haben die bereits erwähnte Individualisierung und einen Esoterikmarkt in Deutschland, der etwa 20 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr umsetzt. Esoterik ist ein Alltagsphänomen geworden und das macht auch vor den Kirchentüren nicht Halt.

Also werden Sie als Weltanschauungsbeauftragter auch von Gemeinden gefragt, ob das geht, dass im Gemeindehaus ein Traumfänger hängt?

Pöhlmann: Ja, das gibt es. Oder es gibt Anfragen, ob ein esoterischer Heiler ins Gemeindehaus gelassen werden darf.

Darf er?

Pöhlmann: Mit solchen Strömungen muss man sich kritisch auseinandersetzen, dem ein Podium zu bieten, das wäre nicht gut.

Was ist denn mit Yoga in der Kirche. Manche stören sich daran, dass in ihrer Gemeinde Kurse angeboten werden.

Pöhlmann: Yoga ist ja ein Container-Begriff. Es ist daher wichtig, genau hinzuschauen, um welches Yoga handelt es sich, wer sind die Anbieter und die Frage, ob spirituelle Inhalte vermittelt werden. Manches wäre längst nicht so spannend, wenn man es nicht mit der Edelvokabel Yoga benennen würde, sondern Körperübung. Yoga ist ein urbanes Phänomen und kommt einem großen Bedürfnis von Körperlichkeit entgegen. Das ist nicht Schlechtes per se. Aber man muss schon fragen, ob das ein Zentralpunkt kirchlicher Bildungsarbeit ist. Ich würde mir manchmal wünschen, dass wir stärker auf das Eigene schauen und von da aus überlegen, passt das zu unserem eigenen Auftrag.

Wie oft bitten Sie Eltern oder Ehepartner um Hilfe, die Sorgen haben, weil ihre Verwandten in eine solche Bewegung oder eine Sekte eingetreten sind?

Pöhlmann: Das ist ein großer Schwerpunkt meiner Tätigkeit. Ich berate nicht nur Aussteiger, sondern auch betroffene, oft erschütterte Angehörige, wie sie sich verhalten sollen und welche Gruppe das ist, die einen neuen Heilsweg verspricht. Und viele sagen mir, es ist toll, dass die Kirche hier Unterstützung anbietet.

Aber kann man heute nicht alles über eine bestimmte Sekte im Internet nachlesen? Braucht es diese Beratung noch?

Pöhlmann: Ich höre oft von Anrufern, sie hätten Informationen im Internet gefunden, sind aber nicht sicher ob die so stimmen oder wie sie einzuschätzen sind. Hinzu kommt, dass es bei jeder Geschichte auch um Beziehungen geht. Es geht um Partnerschaften und um das Sorgerecht von Kindern. Viele sind erst mal froh, dass sie erzählen können. Ich rate dazu, möglichst mit den Menschen in einer Sekte Kontakt zu halten und emotionale Zuwendung zu zeigen. Man sollte sich Missionierungsversuche verbitten, sagen, dass man die Gruppe kritisch sieht, aber trotzdem zu demjenigen hält. Aussteiger sagen immer wieder, das es wichtig war, in der Außenwelt jemanden zu haben, der einen wieder aufnimmt. So muss man keinen regelrechten Gesichtsverlust ertragen.

Warum sieht sich da die evangelische Kirche zuständig, eine solche Beratung und Hilfe anzubieten?

Pöhlmann: Die Menschen, die mich anrufen, werden nicht gefragt, ob sie Mitglied der Kirche sind oder konfessionslos. Das ist ein freier, unentgeltlicher Dienst, eine Art von Gesellschaftsdiakonie. Wenn man sich in der Kirchengeschichte umschaut, gab es schon viele Strömungen, auch solche, mit denen sich schon der Apostel Paulus auseinandersetzen musste. Es gehört dazu, dass wir uns mit der weltanschaulich-religiösen Gegenwartslage befassen müssen. Kirchliche Kernaufgabe ist es, in diesem Kontext Rechenschaft über den christlichen Glauben zu geben.