Die ARD-Tochter Degeto knüpft mit diesem Epos über die Erbin der fränkischen Bleistift-Dynastie Faber an andere große Filme im "Ersten" über starke Frauen an, darunter ein Zweiteiler über die Verlegerin Aenne Burda ("Die Wirtschaftswunderfrau", 2018) oder, schon älter, "Margarete Steiff" (2005) über die Erfinderin der Steiff-Tiere. Tatsächlich gehört "Ottilie von Faber-Castell" jedoch eher in die Tradition jener großen ZDF-Mehrteiler, deren Titelzusatz stets Programm war: "Krupp - Eine deutsche Familie" (2009), "Das Adlon. Eine Familiensaga" (2013), "Der Wagner-Clan - Eine Familiengeschichte" (2014).
Diese und weitere ganz ähnlich konzipierte Filme, etwa "Die Patriarchin" (2005) oder "Afrika, mon amour" (2007), alle mit Iris Berben in der Hauptrolle und von ihrem Sohn Oliver produziert, erzählen von einer Frau in einer Männerwelt; das gilt auch für Ottilie von Faber-Castell. Der Titelzusatz "Eine mutige Frau" ist daher im Grunde überflüssig, denn diese Geschichten handeln stets von Kämpfernaturen, die mit den Herausforderungen wachsen. Dass Ottilie letztlich scheitert, liegt nicht an ihr, sondern an den Umständen: Weil Bleistiftfabrikant Lothar von Faber (Martin Wuttke) Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Tod seines Sohnes keine männlichen Nachkommen hat, will er seine minderjährige Enkelin zur Nachfolgerin aufbauen. Ottilie hat nicht viel Zeit, den Betrieb von der Herstellung bis zur Vermarktung bis in jedes Detail kennenzulernen, offenbart aber recht bald Unternehmergeist und steuert zudem kreative Ideen bei. Der Großvater ist glücklich und stirbt in der Gewissheit, eine gute Wahl getroffen haben, hat die Rechnung allerdings ohne seine Gattin (Eleonore Weisgerber) gemacht. Die alte Dame ist überzeugt, dass die Zeit für eine Frau an der Spitze einer derart großen Fabrik noch nicht reif ist.
Damit ist Regisseurin Claudia Garde, deren Drehbuch nach Motiven des Romans "Eine Zierde in ihrem Hause" von Asta Scheib entstanden ist, beim eigentlichen Thema ihres Films. Fortan spielt das Unternehmen nur noch eine Nebenrolle: Die Großmutter sorgt dafür, dass Ottilie den Offizier Alexander zu Castell-Rüdenhausen (Johannes Zirner) heiratet, macht ihn hinter dem Rücken der Enkelin zum Geschäftsführer und benennt das Unternehmen in Faber-Castell um. Hilflos muss Ottilie mit ansehen, wie ihr Einfluss auf das Unternehmen, dessen Direktoren ohnehin erhebliche Vorbehalte gegen sie haben, immer mehr abnimmt. Für Alexander verspürt sie zwar eine gewisse Zuneigung, aber er war bloß zweite Wahl; ihr Herz schlägt für seinen besten Freund, Philipp (Hannes Wegener), und daran ändert sich auch nach zwanzig Ehejahren und vielen Kindern nichts.
Einerseits ist es ein bisschen schade, dass die unternehmerische Seite der Geschichte aus dem Blick gerät, andererseits wollte sich Garde natürlich an die Tatsachen halten; deshalb konnte ihr Film kein Porträt einer großen Firmenlenkerin werden. Allerdings ist "Ottilie von Faber-Castell" auch kein Drama über das sattsam bekannte Handlungsmuster "Eine Frau zwischen zwei Männern" geworden. Garde hat vielmehr einen universellen Ansatz gewählt: Ottilie müht sich nach Kräften, ein richtiges Leben im falschen zu führen, aber es gelingt ihr eher schlecht als recht. Deshalb war auch die Besetzung ihres Mannes mit Johannes Zirner eine gute Wahl. Der Sohn von August Zirner spielt regelmäßig sinistre Charaktere, allen voran als schurkischer Ex-Mann sowohl in der ungewöhnlichen Romanze "Verliebt in Valerie" (ebenfalls von Garde) wie auch in den "Wolfsland"-Krimis. Gerade in den Anfängen seiner Karriere hat er allerdings in diversen Romanzen mitgewirkt, weshalb Alexander eine ziemlich schillernde Figur ist: Einerseits ist er bereit, den Nebenbuhler Philipp im Duell zu töten, andererseits bemüht er sich aufrichtig um Ottilies Sympathie.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Sehenswert ist das erlesen fotografierte Drama (Bildgestaltung: Felix Cramer) nicht zuletzt wegen des Aufwands. Allein die Rekonstruktion der Stiftfabrikation ist imposant, von den vielen Kostümwechseln ganz zu schweigen. Die wichtigsten Charaktere sind fast ausnahmslos angemessen besetzt. Der gleichermaßen strenge wie gerechte Patriarch zum Beispiel ist eine Rolle, die Martin Wuttke regelrecht auskostet. Bei der Hauptfigur sind die Verantwortlichen allerdings ein gewisses Risiko eingegangen, denn Kristin Suckow dürfte den meisten Zuschauern unbekannt sein, selbst wenn sie als Nebendarstellerin in der "Eifelpraxis"-Episode "Racheengel" oder in dem "Wilsberg"-Weihnachtskrimi "Alle Jahre wieder" bereits gewisse Akzente gesetzt hat. Die Schauspielerin stand vor der Herausforderung, ein breites Alterspektrum zu verkörpern: Zu Beginn der Handlung ist Ottilie 17; am Ende, als sie ihrem Unglück endlich den Rücken kehrt, ist sie über 40. Suckow war während der Dreharbeiten Ende 20, und wie sie mit ihrer Rolle nicht nur altert, sondern auch wächst, ist ziemlich eindrucksvoll.
Aus dem seriösen Rahmen fällt allein Leslie Malton, die ihrer Rollenbeschreibung als "extravagante Tante" mehr als gerecht wird, indem sie die Frau wie so oft exaltiert und überkandidelt verkörpert. Der entsprechende Handlungsstrang mit einer Seance, an deren Ende wie von Geisterhand ein Glas zerspringt, ist ohnehin komplett überflüssig. Davon abgesehen sind die gut 180 Minuten ausnahmsweise nicht zu lang. Zweiteilige Filme leiden oft darunter, dass sich die zweiten neunzig Minuten nach dem dramaturgischen Höhepunkt am Schluss von Teil eins etwas ziehen, aber Garde hat den Film nicht als Zweiteiler konzipiert, sodass es gar nicht erst zum Spannungsabfall kommt.