TV-Tipp: "Die Neue Zeit" (Arte)

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TV-Tipp: "Die Neue Zeit" (Arte)
5.9., Arte, 20.15 Uhr
Die meisten Menschen haben ein sehr pragmatisches Verhältnis zur Kunst: gefällt oder gefällt nicht. Entsprechende Spielfilme müssen also einen lebensnahen Ansatz finden, um möglichst viele Zuschauer zu erreichen.

Der ARD ist das zu Beginn des Jahres mit ihrer Würdigung zum Bauhaus-Jubiläum vorzüglich gelungen: "Lotte am Bauhaus" von Jan Braren (Buch) und Gregor Schnitzler (Regie) war gerade auch dank Hauptdarstellerin Alicia von Rittberg ein mitreißendes Emanzipationsdrama über die Selbstverwirklichung einer jungen Kunsthandwerkerin.

Nun folgt mit "Die Neue Zeit" der ZDF-Beitrag zum Bauhaus-Jahr. Historische Überschneidungen sind natürlich unvermeidbar, aber es gibt auch ganz konkrete Parallelen, und das nicht nur, weil hier wie dort die Studenten nackt im Wasser herumtollen: Auch bei Lars Kraume (Buch und Regie) steht die Selbstfindung einer jungen Frau (Anna Maria Mühe) im Mittelpunkt, auch hier ist der erzkonservative Vater (Hanns Zischler) alles andere als begeistert über die radikale Ausrichtung, die die Weimarer Hochschule für Bildende Kunst unter ihrem neuen Leiter Walter Gropius einschlägt, und selbstredend entwickelt auch Dörte Helm eine besondere Beziehung zu dem charismatischen Architekten, der 1919 die Kunstschule Bauhaus gründet. Im ARD-Film hat Jörg Hartmann den Vordenker verkörpert, für die Serie ist August Diehl in die Rolle geschlüpft. Er legt die Figur etwas anders an: Sein Gropius ist nicht automatisch sympathisch.

Kraumes Konzept kratzt ohnehin am Denkmal. Dafür sorgt schon der Einstieg in die eigentliche Handlung: In seinem Heim in Massachusetts bekommt der achtzigjährige Gropius Besuch von einer Journalistin (Trine Dyrholm), die es für einen Mythos hält, dass am Bauhaus Männer und Frauen gleich behandelt worden seien. Das ist als These schon mal interessant, denn neben den revolutionären künstlerischen Anschauungen hat gerade der Gedanke der Gleichberechtigung den besonderen Status der Akademie ausgemacht; allerdings hat bereits "Lotte am Bauhaus" gezeigt, dass es damit in der Praxis nicht so weit her war. 

Allerdings macht Kraume - er hat die Drehbücher gemeinsam mit Judith Angerbauer und seiner Frau, der Kunsthistorikerin Lena Kiessler, geschrieben -, den guten Ansatz gleich wieder zunichte, weil die Journalistin ihrem Gastgeber wie in einer Talkshow erklärt, wer er ist ("Du bist weltberühmt geworden als erster Direktor der Bauhaus-Schule"). Zum Glück sorgt der für Filme wie "Guten Morgen, Herr Grothe" (Grimme-Preis 2008), "Der Staat gegen Fritz Bauer" (Deutscher Filmpreis 2016) oder "Terror" (Deutscher Fernsehpreis 2017) vielfach ausgezeichnete Regisseur dafür, dass der negative Eindruck umgehend verfliegt. Die dramaturgische Konstruktion, in deren Rahmen die Geschichte als lange Rückblende erzählt wird, ist ohnehin nicht sonderlich einfallsreich.

Die Serie beginnt mit dem vermeintlichen Ende der alten Zeit und Bildern aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs; es handelt sich um einen Traum, aus dem Gropius erwacht, kurz bevor die Journalistin zum Interview kommt. Damals hat er mitten im Schlachtgetümmel telegrafieren lassen, dass er in Weimar die modernste Kunstschule der Welt errichten will. Die Rückblende beginnt mit der Ankunft Dörtes. Gropius erzählt, alle erinnerten sich an das Bauhaus nur in Schwarzweiß, "aber Farbe war überaus wichtig für uns" - und schon werden die Bilder bunt. Das müssen sie auch, denn Dörte ist eine in jeder Hinsicht sehr blauäugige Heldin, zwar eifrig bemüht, aber ohne eigene künstlerische Schaffenskraft; sie kopiert den Stil eines ihrer Lehrer (Ernst Stötzner) zu dessen Verblüffung derart perfekt, dass er ihre Arbeit als eigenes Gemälde ausgeben könnte. Das ändert sich erst, als der unberechenbare Kunsttheoretiker Johannes Itten (Sven Schelker), der sie ohnehin dauernd mobbt, sie als "dressiertes Äffchen" bezeichnet und sie der Schule verweist. Nun endlich entwickelt Dörte, die später ihre Berufung zur Lehrerin entdeckt, eine eigene Persönlichkeit. Anna Maria Mühe, trotz einiger Dutzend Hauptrollen in den letzten 15 Jahren immer noch erst Mitte dreißig, verkörpert diese Metamorphose vom schüchternen jungen Ding zur selbstbewussten erwachsenen Frau sehr eindrucksvoll. Die Beziehung zwischen der authentischen Dörte Helm, die schließlich revolutionärere Ideen hat als Gropius, und dem Schulleiter sind das emotionale Gegenstück zu den allerdings gut integrierten Diskursen etwa über den Funktionalismus als große Idee der Moderne.

Mit Ausnahme von Gropius, den Diehl auch als alter Mann gerade stimmlich sehr glaubwürdig verkörpert, bekommen die weiteren Figuren jedoch längst nicht die nötige Tiefe, was zum Teil auch an Besetzung und Darstellerführung liegt. Sven Schelker zum Beispiel hat als Itten längst nicht das Format von Christoph Letkowski in Schnitzlers Film. Die jungen Mitwirkenden hinterlassen abgesehen von Ludwig Treptes albern klingendem Akzent ebenfalls keinen bleibenden Eindruck. Auch die erfahrenen Schauspieler ringen zum Teil vergebens mit der Klischeehaftigkeit ihrer Rollen. Das gilt vor allem für die überwiegend eindimensionalen nationalistischen Figuren (unter anderem Corinna Kirchhoff und Max Hopp), die sich als Bewahrer konservativen Gedankenguts verstehen. Zunächst verlangt ein Bürgerausschuss vom visionären Gropius, sich dem deutschnationalen Denken zu verpflichten, später wollen die "Volksgenossen" dem Bauhaus die Gelder entziehen; nun stehen sich endgültig alte und neue Zeit gegenüber.

Eindrucksvoll ist allerdings der Aufwand, den Kraume führen durfte; unter anderem mussten 3.500 (!) Statisten eingekleidet werden. Was seiner Serie etwas abgeht, ist die für das Bauhaus typische Auflehnung gegen die Konventionen. Frei und wild war während der Dreharbeiten allein die Kamera von Jens Harant, dem Kraume keinerlei Grenzen setzte. Die Bildgestaltung entspricht jedoch typischen Fernsehfilmgepflogenheiten, von gelegentlichen schwarzweißen Fotostudien mal abgesehen; Einstellungen wie jene, in der die Kamera die Spiralbewegung eines Gemäldes aufgreift, sind Ausnahmen. Arte zeigt die Serie heute und am 12. September ab 20.15 Uhr (jeweils drei Folgen), das ZDF am 15., 16. und 17. September ab 22.15 Uhr (jeweils zwei Folgen).