TV-Tipp: "Meine fremde Freundin" (ARD)

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TV-Tipp: "Meine fremde Freundin" (ARD)
21.8., ARD, 20.15 Uhr
Der dramaturgische Kniff, einen Fernsehfilm mit einem Cliffhanger zu beginnen und die Vorgeschichte anschließend in langer Rückblende nachzutragen, wird derzeit geradezu inflationär verwendet. Bei "Meine fremde Freundin" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2017) dient die Methode jedoch nicht der billigen Spannungsverstärkung. Der Einstieg setzt ein Vorzeichen, das die nun folgenden Ereignisse in ganz anderem Licht erscheinen lässt.

"Sagen Sie endlich die Wahrheit!", herrscht ein Mann eine Frau an. Dann reicht das Drehbuch (Katrin Bühlig und Daniel Nocke) nach, wie sich die beiden kennen gelernt haben: Judith Lorenz (Ursula Strauss) erscheint zu ihrem ersten Arbeitstag im Gesundheitsamt von Hannover. Die Kolleginnen und Kollegen nehmen sie freundlich auf, aber einer treibt die Begrüßung entschieden zu weit: Der unsympathische Volker Lehmann (Hannes Jaenicke) macht mit unverhohlenem Blick auf ihre Brüste eine Bemerkung, die mehr als bloß anzüglich ist. Später hat er den Worten offenbar Taten folgen lassen. Jedenfalls berichtet die völlig aufgelöste Judith der Kollegin Andrea (Valerie Niehaus), mit der sie sich angefreundet hat, Lehmann habe sie im Aktenraum vergewaltigt. Andrea rät ihr, zur Polizei zu gehen, und weil es schon mal einen Vorwurf der sexuellen Belästigung gegeben hat, scheint die Gerechtigkeit zu siegen: Lehmann muss für fünf Jahre ins Gefängnis. Reue zeigt er nicht, im Gegenteil, wie die im Prolog vorweggenommene spätere Begegnung von Täter und Opfer verdeutlicht.

Ohne diese Einführung gäbe es nicht den Schatten eines Zweifels. Allerdings spart Regisseur Stephan Krohmer die Tat aus; die entsprechende Szene endet damit, dass Lehmann die neue Kollegin bedrängt. Hauptfigur ist ohnehin Andrea, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Auch hier sorgt das Buch sehr geschickt für Voreingenommenheit: Sie mag Lehmann nicht, weshalb der Kollege erst recht von vornherein stigmatisiert ist. Auch wenn es solche Typen durchaus gibt: Dass die männliche Figur etwas überzeichnet ist, soll vermutlich die Fallhöhe vergrößern; im Gefängnis wirkt Lehmann regelrecht gebrochen. Valerie Niehaus wiederum verkörpert Andrea als exakt jenen Menschen, den Judith jetzt braucht: ohne Vorbehalte und voller Solidarität. Dass eine derart patente Person keine vertraute Freundin hat, zumal sie als Mutter viele andere Frauen kennengelernt haben muss, und Judith umso bereitwilliger ihr Herz öffnet, ist die einzige kleine Unglaubwürdigkeit des Films.

Die schwierigste Rolle des Trios hat allerdings ohnehin Ursula Strauss. Während Jaenicke etwaige Anflüge von Empathie für Lehmann konsequent im Keim erstickt, ist Judith eine differenzierte Figur. Was ihr widerfahren ist, weckt Mitgefühl, zumal sie das Unglück geradezu magisch anzuziehen scheint; andererseits zeigt sie immer wieder Verhaltensweisen, die zumindest irritieren. Dass sie Lehmanns Job will, als der aus dem Amt verschwindet, ginge noch an; aber sie versucht auch, einen Keil zwischen Andrea und ihren Mann (Godehard Giese) zu treiben. Trotzdem hat Andrea keinen Grund, den Charakter ihrer Freundin in frage zu stellen, erst recht nicht, als Judith ins Krankenhaus kommt, weil sie nach Aussage der Ärzte schleichend vergiftet worden ist; vermutlich auf ihrer Arbeitsstelle.

Auch wenn der Fall noch mal aufgerollt wird: "Meine fremde Freundin" ist kein Krimi. Die große Spannung, die der gemeinsam mit seinem Stammautor Nocke mehrfach ausgezeichnete Krohmer (Grimme-Preise für "Ende der Saison" und "Familienkreise") erzielt, ist anderer Natur; sie resultiert nicht aus der Inszenierung der Ereignisse, die ohnehin überwiegend im Dialog vermittelt werden, sondern aus den Entwicklungen, die die Figuren durchmachen. Krohmer, ein Spezialist für Zwischentöne, hat seine Inszenierung gerade im ersten Akt dem Prinzip des Thrillers nachempfunden: Die Bilder zeigen ganz normale Büroszenen, aber dahinter lauert eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung; entsprechend wichtig war die Besetzung gerade der scheinbar klar verteilten Täter- und Opferrollen. Das Handlungsmuster erinnert an den ähnlich konzipierten Missbrauchsfilm "Ein Vater unter Verdacht" (Sat.1 1997) mit Klaus J. Behrendt, setzt allerdings einen bitteren Schlusspunkt. Natürlich konnten die Verantwortlichen bei der Konzeption des Stoffs nichts von dem Skandal um Harvey Weinstein ahnen, aber auch ohne die Berichte über die vielen Vergehen des Hollywood-Produzenten ist "Meine fremde Freundin" ein mutiger Film.