Frankfurt a.M. (epd). Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR appelliert an die EU-Staaten, mehr als 500 Menschen an Bord von zivilen Seenotrettungsschiffen aufzunehmen. Viele der Flüchtlinge hätten Misshandlung und Gewalt in den libyschen Lagern erlitten, sie bräuchten humanitäre Hilfe und internationalen Schutz, erklärte der UNHCR-Sondergesandte für das zentrale Mittelmeer, Vincent Cochetel, am Dienstag in Genf. Ihnen müsse umgehend erlaubt werden, an Land zu gehen und humanitäre Hilfe zu erhalten. Unterdessen stößt das Rettungsschiff "Ocean Viking" mit mittlerweile 356 Flüchtlingen an Bord an seine Kapazitätsgrenzen.
Abhängig vom Wetter und der Situation an Bord könne das Schiff womöglich keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, sagte Projektkoordinator Jay Berger von "Ärzte ohne Grenzen" dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir hatten gehofft, nicht in eine solche Situation zu geraten." Aber als es um Leben und Tod ging, habe sich die Crew entschieden, mehr Menschen an Bord zu holen, anstatt das Risiko einzugehen, sie ertrinken zu lassen.
Die "Ocean Viking" hatte am Montagabend zum vierten Mal auf ihrer Fahrt Bootsflüchtlinge an Bord genommen. Nachdem die Crew Rettungswesten an die 105 Menschen ausgegeben habe, sei eine Kammer des Schlauchboots geplatzt, twitterten "Ärzte ohne Grenzen" und SOS Mediterranée, die das Schiff gemeinsam betreiben. Die Menschen seien ins Wasser gefallen, hätten aber alle gerettet werden können. Das Schiff war vor gut einer Woche von Marseille aus in Richtung libyscher Küste aufgebrochen, wo es zunächst zweimal 85 Menschen und einmal 81 Menschen aus Seenot aufnahm.
Eigentlich ist die "Ocean Viking" den Organisationen zufolge für rund 200 Flüchtlinge ausgelegt. Die Kapazität sei jedoch unter anderem vom Wetter und vom Wellengang abhängig, sagte Berger. Sollte das Schiff erneut auf Bootsflüchtlinge stoßen und keine mehr aufnehmen können, werde die Crew versuchen, die Situation der Menschen auf dem Flüchtlingsboot etwa mit Rettungswesten und Rettungsbooten abzusichern und mit ihnen auf weitere Hilfe zu warten.
Dem UNHCR-Sondergesandten zufolge sind auf dem Mittelmeer Stürme und schlechtere Wetterbedingungen zu erwarten. Menschen, die vor Krieg und Gewalt in Libyen flohen, jetzt auf hoher See zu belassen, würde ihnen Leid über Leid zufügen. "Dies ist ein Wettlauf gegen die Zeit", unterstrich er. Die EU-Staaten rief er auf, endlich eine Lösung zur Verteilung der 507 Flüchtlinge zu finden, um sie nach der Anlandung zu übernehmen.
Die spanische "Open Arms" pendelt seit mittlerweile zwölf Tagen mit 151 Menschen an Bord zwischen Malta und der italienischen Insel Lampedusa hin und her. Beide Länder haben ihre Seegewässer und Häfen für zivile Seenotrettungsschiffe geschlossen. Nur Notfälle wie Verletzte oder Schwangere nehmen sie auf. Fotos von der "Open Arms" zeigen, wie die Menschen dicht an dicht an Deck liegen.