Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit war der Religionsunterricht. Welche Rolle spielt er in einer säkularer werdenden Gesellschaft?
Christoph Schneider-Harpprecht: Die religiöse Dimension wird in der Gesellschaft auf sehr unterschiedliche Weise gelebt. Es ist nicht so, dass eine säkulare Gesellschaft Religion vollständig ausblendet. Wir sehen aber eine Pluralisierung von Religion. Das geht einher mit einem starken Verlust an religiöser Bildung. In den Familien bricht die Traditionsweitergabe ab.
Die religiöse Bildung an Kitas und Schulen hat daher die Funktion, Kindern und Schülern diese Dimension zu erschließen. In einer pluralen Gesellschaft muss dabei die eigene christliche Heimat, aber auch die Verschiedenheit von Religion verstehbar werden. Dann finden Kinder einen Zugang zu ihrer eigenen Position und Tradition und werden zugleich dialogfähig im Austausch mit anderen Religionen und Weltanschauungen.
Immer wieder wird die Abschaffung des Religionsunterrichts diskutiert. Was halten Sie davon?
Schneider-Harpprecht: Es gibt immer wieder den Versuch, den gordischen Knoten der religiösen Bildung in der komplexen Verzahnung von Kirche und Staat durchzuschlagen, indem man sich auf den Laizismus zurückzieht. Aber wir sehen an laizistischen Ländern wie Frankreich, dass dort ein eklatanter Mangel an religiöser Bildung ist. Das erhöht auch das Konfliktpotential in der Gesellschaft, zum Beispiel in Bezug auf das Zusammenleben mit Muslimen.
Der konfessionelle Religionsunterricht leistet nach wie vor einen sehr wichtigen Beitrag zu einem friedlichen Miteinander der Religionen. Er erzieht zur religiösen Mündigkeit und zu einem reflektierten Umgang mit Religion auf der Grundlage wissenschaftlicher Theologie.
Religionsunterricht hat also auch eine friedensstiftende Funktion?
Schneider-Harpprecht: Religiöse Bildung in den Schulen geschieht ja unter den Prämissen eines Bildungsplans und kann die Friedenspotentiale von Religion und deren Versöhnungsmöglichkeiten den Schülern deutlich machen. Sie ist eingebunden in einen Kontext von sozialem Lernen. Sie regt an zum kritischen selbstständigen Denken und wirkt deshalb auch fundamentalismuskritisch.
Wie steht es mit der Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen und Religionen?
Schneider-Harpprecht: Da gibt es große regionale Unterschiede in Deutschland. In Baden-Württemberg haben wir den konfessionell-kooperativen Unterricht entwickelt, den ich als große Chance sehe. Wenn ich zurückblicke, ist das eines der wichtigsten Felder, in denen wir gearbeitet haben. Damit haben wir Pionierarbeit geleistet, die auch aufgegriffen wurde von der Katholischen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Jetzt ist der konfessionell-kooperative Unterricht in allen Bundesländern möglich.
Allerdings zeigen sich regionale Unterschiede. In den Stadtstaaten wie Hamburg haben wir eine ganz andere Situation. Der dortige "Religionsunterricht für alle" geschieht in Trägerschaft von Christen, Juden und Muslimen. Dieses Modell muss jetzt erst einmal evaluiert werden. Man muss sich auf die zunehmende Pluralität mit unterschiedlichen Modellen einstellen.
Könnte das auch ein Modell für Baden-Württemberg sein?
Schneider-Harpprecht: Nein, in Baden-Württemberg leben überwiegend Christen, zudem ist die Zahl der muslimischen und jüdischen Religionslehrer so gering, dass wir überhaupt keine Kooperationspartner hätten. Daher ist das Modell des konfessionellen Religionsunterrichts mit der Möglichkeit zur konfessionellen Kooperation des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts und zur themenbezogenen Kooperation mit dem Religionsunterricht anderer Konfessionen und Religionen sowie dem Ethikunterricht das Zukunftsmodell für Baden-Württemberg.
Aus evangelischer Sicht gehören Glauben und Bildung zusammen. 2017 hat die Synode mehr als fünf Millionen Euro für die Kitaarbeit zur Verfügung gestellt.
Schneider-Harpprecht: Einen wichtigen Stellenwert hat dabei die Stärkung des evangelischen Profils. Da richten wir derzeit Familienzentren an Kitas ein. In diesen Zentren geht es nicht nur darum, die Menschen religiös zu bilden, sondern auch darum, Allgemeinbildung zu fördern und sozial-diakonische Beratungsangebote zu machen.
Inzwischen gibt es schon mehr als 60 Familienzentren, die sehr gut angenommen werden. Die Eltern wissen, dass sie dort auch gut beraten werden und nicht zu anderen Stellen fahren müssen. Das gilt auch für die Erziehungskurse, in denen Kirche zu den Menschen kommt.
Es wird immer schwieriger, Fachkräfte zu finden. Wird es künftig mehr muslimische Erzieherinnen geben?
Schneider-Harpprecht: Das wird derzeit intensiv diskutiert. Ich bin der Auffassung, dass Erzieherinnen und Erzieher an evangelischen Kitas Mitglied einer christlichen Kirche sein sollten. Aber es muss möglich sein, gezielt Stellen für Muslime auszuschreiben, beispielsweise wenn die Arbeit einer Einrichtung stark interkulturell ausgerichtet ist. Die konkrete Ausschreibung muss dann auf die Stelle hin definiert und begründet sein.
"Alle auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen müssen entfernt werden"
Sie setzen sich stark für die Friedenspolitik ein. Welche Schritte stehen hier an?
Schneider-Harpprecht: Zunächst bin ich der Meinung, dass Atomwaffen geächtet werden müssen, weil sie die Lebensgrundlagen der Menschheit gefährden. Deshalb muss die Ächtung von Atomwaffen in das Grundgesetz. Alle auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen müssen entfernt werden. Aber das ist nur ein kleiner Teil. Ich denke, dass Deutschland im Konzert der Weltpolitik und Europas eine Stimme sein muss, die grundsätzlich auf gewaltfreie Alternativen der Friedenssicherung setzt und dies auch zum Ziel ihrer Politik macht.
Das ist ein - noch - utopisch klingendes Ziel. Aber wir haben beispielsweise das Szenario "Sicherheit neu denken" entwickelt. Darin haben wir dargelegt, wie Schritte aussehen könnten, die in Richtung einer Welt ohne bewaffnete Konflikte gehen. Es wird sich zeigen, inwieweit wir dafür eine Öffentlichkeit gewinnen. Die Zeichen dafür sind eigentlich ermutigend.
Spannend wird die EKD-Synode im Herbst zum Thema Frieden. Ich bin gespannt, wie sich im Vorfeld politische Interessengruppen formieren und inwieweit sich die militäraffinen Kräfte in der EKD durchsetzen werden oder ob man auch den Wert von Friedensinitiativen sieht, die auf die gewaltfreie Konfliktbearbeitung ohne militärische Gewalt setzen.
"Wollen wir sie gewinnen, so müssen wir ihre Sprache sprechen und ihre Medien nutzen"
Welche Pläne haben Sie für ihren Ruhestand?
Schneider-Harpprecht: Ich werde weiter als Professor für Praktische Theologie an der Universität Heidelberg Seminare halten und mich in der Friedensarbeit engagieren. Und ich will mich mehr um meine Familie kümmern.
Welche Erinnerungen und Wünsche nehmen Sie mit?
Schneider-Harpprecht: Ich bin froh, dass wir den Religionsunterricht stabil halten konnten. Und ich habe sehr gute Erinnerungen an die ökumenische Zusammenarbeit, aber auch an die Kooperationen mit den Bildungsfachleuten in Baden-Württemberg.
Es gibt noch sehr viele Baustellen im Bildungsbereich, angefangen von der Gründung weiterer evangelischer Schulen sowie der Verbesserung der Qualität des Religionsunterrichts und der Fortbildung der Lehrkräfte über eine Stärkung der Erwachsenenbildung im Bündnis für lebenslanges Lernen bis hin zu neuen, auch digitalen Angeboten für junge Erwachsene. Wollen wir sie gewinnen, so müssen wir ihre Sprache sprechen und ihre Medien nutzen.