Kretschmann geht zum Beten auf den Berg

Glaubenstreffen auf dem Jusi
© epd-Bild/Markus Klein
Seit 100 Jahren gibt es das pietistische Glaubenstreffen auf dem Jusi-Berg im Kreis Esslingen. Zum Jubiläum am 28. Juli kommen Ministerpräsident Kretschmann und Landesbischof July.
Kretschmann geht zum Beten auf den Berg
Seit 100 Jahren Glaubenstreffen auf dem Jusi
Die Jusi-Gemeinschaftsfeier ist ein Unikum in der württembergischen Kirchenlandschaft: Seit 100 Jahren wandern jeden Sommer Hunderte zu einem Glaubenstreffen auf den Berg Jusi bei Neuffen im Landkreis Esslingen. Zum Jubiläum am 28. Juli haben der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July ihr Kommen zugesagt.
28.07.2019
epd
Hans-Dieter Frauer

Alle Jahre wieder wird an einem Sonntag im Hochsommer zu einem ganztägigen, locker gestalteten Glaubenstreffen unter freiem Himmel auf den Gipfel des Jusi-Berges eingeladen. Dieser Brauch entstand im Jahre 1919. Damals, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, lag die Welt in Trümmern. Der Krieg war verloren, das Kaiserreich ruhmlos zu Ende gegangen, der "Friedensdiktat" empfundene Vertrag von Versailles verbitterte das Volk. Dazu kamen so bisher nicht gekannte Belastungen in Politik und Wirtschaft mit einem zunehmend vergifteten innenpolitischen Klima.

In dieser zerrissenen Zeit entstand ein lockeres Glaubentreffen unter freiem Himmel - bis dahin geradezu unvorstellbar. Damit wollte man die Versöhnungsbotschaft der Bibel auf eine für damalige Verhältnisse geradezu unerhört neue Art unter die Menschen bringen. Man wollte bewusst hin zu den Menschen. Heute, wo im Bereich der württembergischen Landeskirche Gottesdienste unter freiem Himmel ("Kirche im Grünen") von Frühjahr bis Herbst fast flächendeckend angeboten werden und sich unverändert wachsender Teilnehmerzahlen erfreuen, ist es kaum mehr nachvollziehbar, was für ein Wagnis seinerzeit der erste Gottesdienst dieser Art auf dem Jusi war.

Das Who-is-Who des Pietismus

Seit seinem Beginn - klein und bescheiden - hat der ansprechende Mix von geistlicher Zurüstung, persönlicher Begegnung und privatem Austausch wachsende Anziehungskraft entfaltet. Seit 1919 hat es die Feier alle Jahre auf dem landschaftlich reizvollen und geologisch wie botanisch interessanten 673 Meter hohen Jusi-Berg gegeben - selbst während Inflation, NS-Zeit, Krieg und Besatzungszeiten. Es ist neben den Treffen etwa im nahe gelegenen Hülben zu einem der großen überregionalen Angebote der württembergischen Pietisten geworden.

Es hat sich eingebürgert, die Treffen inhaltlich an der jeweiligen Jahreslosung auszurichten. In der Regel kommen zwei Referenten: vormittags wird mehr die Jugend angesprochen. Nach Darbietungen von Posaunen-, Männerchören und Singkreisen wird gegrillt oder das mitgebrachte Mittagessen eingenommen. Der Nachmittag ist dann als Gemeinschaftsfeier gestaltet: Dazu sind schon evangelistische Starprediger aus dem gesamten deutschsprachigen Raum auf den Jusi gekommen. Die Rednerliste liest sich wie das Adelsverzeichnis des Pietismus.

Auch wenn evangelistische Ansprachen, Glaubenszeugnisse und die persönliche Begegnung den Jusi-Treffen von Anfang an das Gepräge gaben, so waren sie doch immer mehr als lediglich ein Treffen der Frommen. So wollte die anfangs vollkommen neue Art der zwanglosen Gottesdienste unter freiem Himmel in den wirren Zeiten damals die Menschen ansprechen und den oft von Krieg und Nachkrieg Entwurzelten Halt und Orientierung vermitteln. Später verschoben sich die inhaltlichen Schwerpunkte: In den 1920er Jahren mit ihren wirtschaftlichen Nöten trat mehr der Familiencharakter in den Vordergrund, im neuheidnischen "Dritten Reich" warnten die Redner vor platten Propagandaphrasen und verwiesen unaufdringlich auf die biblische Heilsbotschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte man, der um sich greifenden Säkularisierung entgegenzuwirken.