Spiritualität, Glaube und Selbstfindung werden den Menschen immer wichtiger. Sie nutzen gerade ihren Urlaub dafür, um etwas für ihre Seele zu tun. Im Tourismus sei das ein neuer Trend. "Das Thema spiritueller Tourismus, religiöser Tourismus, ist von der Welttourismus-Organisation als eine der Triebfedern des Tourismus international anerkannt worden", erklärt Rulf Treidel, der an der Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld Tourismusmanagement lehrt. Er untermauert das auch mit Zahlen: "Ungefähr ein Drittel aller Reisenden weltweit werden durch spirituellen oder religiösen Tourismus getrieben. Die Welttourismus-Organisation prognostiziert bis 2030 rund 1,8 Milliarden touristische Ankünfte", so Treidel.
Zum Beispiel der gezielte Besuch von Klöstern, um sich von der Ruhe und dem Raum inspirieren zu lassen. Oder buddhistische Retreaten und Einkehrwochen, Wanderfasten bis hin zu Ayurveda-Kuren. Ein Trend, aber noch kein Massenmarkt, der die großen Reiseveranstalter auf den Plan rufe. Aber es sei eine wachsende Nische.
"Die großen Veranstalter bedienen auch nur die Hälfte des deutschen Reisemarktes. Die andere Hälfte ist individuell organisiert. Das sind Menschen, die Angebote in der Region suchen. Die Jakobsweg-Pilger zum Beispiel sind nur zu einem kleinen Teil organisiert", weiß Tourismusfachmann Treidel.
Segensworte inklusive
Laut Deutschem Reiseverband begaben sich 2018 rund 47 Prozent aller Deutschen selbst organisiert als Individualtouristen in den Urlaub. Immerhin ein Volumen von mindestens 30 Milliarden Euro. Ein Bruchteil davon fließe bereits in den spirituellen Tourismus. Das Segment wachse auch in der Bundesrepublik stetig, schätzen die Reisefachleute. Etwa in Brandenburg. Schon in Polen beginnt der historische Pilgerpfad. Über Frankfurt Oder, die alte Bischofsstadt Lebus, in Richtung Westen an dem kleinen Ort Sieversdorf vorbei. Dort betreibt Silvia Scheffler zusammen mit ihrem Mann eine kleine Orgelwerkstatt, an die eine kleine Pilger-Herberge angeschlossen ist.
"Ich versuche das im geistlichen Sinne zu tun, was ich als Laie tun kann. Ich gehe morgens mit den Pilgern in die Kirche, dafür habe ich auch extra den Kirchenschlüssel, um ein Segenswort zu sprechen: Du Gott des Aufbruchs, segne und behüte uns, wenn wir Abhängigkeiten entfliehen, wenn wir festgetretene Wege verlassen und Neues wagen. Ich mache die Kerzen an, um die Pilger auf den Weg zu schicken. Und das ist meistens eine schöne Begegnung und da fühle ich mich auch im Sinne eines Christen handelnd", berichtet Herbergsmutter Silvia Scheffler.
Das Doppelzimmer vermietet sie für derzeit 25 €. Wer den eigenen Schlafsack mitbringt, kann auch schon mal umsonst unterkommen.
"Einmal kamen zwei Polizisten. Ich wusste das da noch nicht. Die waren so durchnässt und kaputt und so müde und sie suchten jetzt unbedingt eine Unterkunft. Ich musste aber weg. Ich sagte: Kommt, geht mal da hinten rein und da könnt ihr auch gleich hier in meinem Haus schlafen, die Pension ist voll. Und dann bin ich zum Chor gegangen. Und das war für diese Polizisten ein nachhaltiges Erlebnis, dass wir sie rein ließen, obwohl wir gar nicht wussten, wer sie sind. Die haben hinterher gesagt, sie hätten jetzt wieder den Glauben an die Menschheit gefunden", erinnert sich Scheffler.
Die Pilgerherberge ist zwar ein angemeldeter Pensionsbetrieb, aber kein Geschäft. Das kleine Unternehmen sei mehr ein menschlicher Zugewinn für alle Beteiligten, sagt die engagierte Christin:
"Für die kleinsten Dinge kann man Dankbarkeit erfahren und das ist auch ein Geschenk. Wir pilgern ja nicht mehr wie die Katholiken zu Luthers Zeiten wegen Ablass, sondern Pilger sind einfach Menschen, die sich auf den Weg machen und irgendetwas neu lernen wollen. Die sich in einen offenen Raum begeben, um geistliche Erfahrung zu machen. Und dafür sollten alle Kirchen und alle Menschen auch offen sein."
Intelligente und attraktive Kirchennutzung
Im Trend liegt eben auch, die jahrhundertealten christlichen Kirchen, Kapellen und Gemeindehäuser auf dem Land zu entdecken, von Fachwerk bis Feldstein, von Barock bis Gotik. Bernd Janowski vom Förderkreis Alte Kirchen:
"Wir haben bereits vor 20 Jahren angefangen, die Aktion 'Offene Kirchen' zu starten. In einer Region wie Brandenburg würde es sich gar nicht lohnen, die Kirchen von 10:00-18:00 Uhr offen zu halten. Wir möchten besser verlässliche Ansprechpartner haben, von denen die Telefonnummer bekannt ist, die Email-Adresse, wo man sich ankündigen kann und wo man den Schlüssel holt. Und das klappt im Prinzip sehr gut. Über 1.000 Gemeinden beteiligen sich daran."
Viele einst verrottete Dorfkirchen wurden in den letzten 30 Jahren gerettet. Aber die christliche Gemeinde ist vielerorts kaum noch vorhanden. Es gilt also, intelligente und auch für Touristen attraktive Nutzungen zu finden.
"Vor 20, 30 Jahren war es noch schwierig, ein Jazzkonzert in einer Kirche anzubieten. Das ist jetzt in den meisten Orten eine Selbstverständlichkeit. Da finden Lesungen statt, da wird Theater gespielt. Man hat in einigen Kirchen während der Fußballweltmeisterschaft Public Viewing gemacht. Warum auch nicht? Der Kirchenraum ist durch das Kreuz determiniert und alles, was sich vor diesem Kreuz nicht verstecken muss, das ist in einer Kirche möglich", sagt Bernd Janowski.
Diakon Sven Ahlhelm ist im alten Zisterzienser-Kloster Chorin sogar extra angestellt, um die Verbindung von Spiritualität und Tourismus voran zu bringen. Er versucht etwa auch den gestressten Großstädtern das zu bieten, was sie bei sich in der eigenen Kirchgemeinde nicht so leicht finden können.
"Hier im Kloster Chorin haben wir die Stille Stunde installiert. Das ist ein Angebot ein Mal im Monat an einem Freitag Abend, an dem man schweigend die Klostermauern abseits des großen touristischen Begängnisses noch mal genießen kann", sagt Ahlhelm.
Es gebe allerdings für den spirituellen Tourismus noch kein Konzept zwischen der Landeskirche und den örtlichen Gemeinden. Vieles wie Pilgerwege, Einkehrhäuser oder Meditationswochen seien noch singuläre Angebote, ohne vom Land Brandenburg groß beworben zu werden. Aber man sei auf dem Weg, den spirituellen Tourismus bekannter zu machen, etwa durch erhöhte Online-Präsenz, verspricht Diakon Sven Ahlhelm:
"Davon können alle nur profitieren. Es wäre auch für die Region ein Gewinn, Gäste zu empfangen, die sich auf der Suche nach sich selbst auf den Weg machen."