Bei ihrem Besuch am Samstag in Dortmund wird sie gefeiert von einer Bewegung, die traditionell den Stempel links-liberal, aktuell vor allem grün trägt. Seit ihren Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik und ihrem Beharren auf Multilateralismus gegen nationalistischen Strömungen sind Kirchentage für die frühere CDU-Chefin aber wie Parteitage. "Schöne Stimmung. Die gibt Kraft und Vertrauen", quittierte die Kanzlerin den Jubel.
Rund 10.000 Menschen versammelten sich in der Dortmunder Westfalenhalle für den Auftritt der Kanzlerin. Gemeinsam mit der früheren liberianischen Präsidentin und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf saß sie auf einem Podium, auf dem es vor allem um internationale Verantwortung gehen sollte. Kein Land alleine könne die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen, erneuerte Merkel ihr Plädoyer für Multilateralismus.
Anfang und Ende
Auf dem Podium mit Johnson-Sirleaf herrschte da Einigkeit. Auch die afrikanische Politikerin warb für internationale Zusammenarbeit, warnte die westlichen Demokratien davor, sich davon abzuwenden. Das sei eine Bedrohung für die Demokratien in der ganzen Welt, sagte die frühere Präsidentin. Merkel lobte sie als "Vorreiterin für multilaterale Beziehungen". Fast flehend bat sie Merkel im Amt zu bleiben. Sie könne jetzt nicht aufhören, sagte Johnson-Sirleaf. Merkel, von so viel Schmeicheleien fast peinlich berührt, reagierte darauf gewohnt nüchtern: "Alles hat einen Anfang und alles hat auch einmal ein Ende."
Dem Kirchentagspublikum wollte sie dennoch deutlich machen, dass sie noch einiges erreichen wolle, unter anderem beim Klimaschutz. Bei der diesjährigen UN-Klimakonferenz werde es nicht reichen, nur Bilanz zu ziehen, sagte Merkel. Die Staats- und Regierungschefs müssten das Signal aussenden, ihre Anstrengungen verstärken zu wollen, sagte sie. Nach dem Scheitern eines verbindlichen Klimaziels beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel machte sie deutlich, dass zumindest Deutschland am Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festhalte. Man könne und werde bis dahin Klimaneutralität erreichen. Mehr Zeit gebe die Wissenschaft nicht, sagte Merkel.
Deutlich wurde die Kanzlerin auch in der Diskussion um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Sie forderte, mögliche Verbindungen zur rechtsterroristischen Gruppe NSU umfassend aufzuklären und erinnerte an das damalige Versagen der Behörden: "Wir haben den Betroffenen damals Versprechungen gegeben." Wenn man jetzt nicht genau nach Verbindungen schaue, "haben wir einen vollkommenen Verlust der Glaubwürdigkeit", sagte Merkel. "Und das ist natürlich das Gegenteil von dem, was wir brauchen: Vertrauen".
Der CDU-Politiker Lübcke war am 2. Juni spätabends vor seinem Wohnhaus mit einem Kopfschuss getötet worden. Ein Verdächtiger sitzt seit vergangener Woche in Haft. Die Ermittler vermuten einen rechtsextremen Hintergrund. Spekuliert wurde auch über mögliche Verbindungen zum NSU. Die rechte Terror-Gruppe soll zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet haben: acht türkische Migranten, einen griechischen Einwanderer und eine Polizistin.