Die Geschichte ist allerdings tatsächlich originell: Karl-Heinz Sollheim (Christoph M. Ohrt), "Camping-Kalle" genannt, hatte einst einen einzigen Hit, "Unter der Sonne", und den muss er nun wieder und wieder zum Besten geben. Er selbst sieht sich dagegen als Country-Sänger, aber das will niemand hören. Der Film beginnt mit einer fiesen Entlarvung: Kalle bereitet sich nervös auf einen vermeintlich großen Auftritt vor, aber seine Bühne ist bloß der Parkplatz eines Baumarkts, und als er nach dem Ohrwurm einen Song vom neuen Album singen will, zerstreuen sich die zwei Dutzend Zuhörer, als hätte jemand eine Stinkbombe geworfen; dabei ist die Musik gar nicht schlecht.
Tess (Isabell Gerschke), die nimmermüde Agentin des Sängers, hat ein Gewinnspiel mit einem Radiosender arrangiert: Der Sieger darf Kalle eine Nacht auf seinem Campingplatz beherbergen. "Camping-Kalle" landet also auf dem ziemlich heruntergekommenen Ostseezeltplatz "meeresglück". Dass der Name klein geschrieben wird, hat seine Bewandnis, wie sich später zeigt, denn der Sänger wird das Opfer eines Betrugs: "meeresglück"-Betreiberin Martha (Nina Franoszek) sieht in Kalle die letzte Chance, ihren Betrieb zu retten, aber davon hat Tochter Desiree (Diana Amft) keine Ahnung. Kalle hasst Camping zwar, weil er als Kind für eine Weile im Zelt leben musste, macht aber gute Miene zum bösen Spiel. Weil sich der vermeintlich arrogante Star als ganz sympathisch entpuppt, belohnt ihn der Film mit einer Romanze; aber jetzt wird’s seltsam.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Ungereimtheiten beginnen schon mit dem ersten Auftritt von Mutter und Tochter, denn Nina Franoszek und Diana Amft wirken eher wie Schwestern; tatsächlich ist Franoszek (Jahrgang 1963) nur zwölf Jahre älter als die Kollegin (1975). Noch irritierender sind die Versuche Marthas, ihre Tochter mit Kalle zu verkuppeln; der Sänger wäre vom Alter her eher ihre eigene Kragenweite. Ohrt (Jahrgang 1960) trägt für diese Rolle einen weißen Vollbart, der ihm zwar gut steht, ihn aber keinesfalls jünger aussehen lässt. Außerdem wirken Desirees Feindseligkeiten gegenüber Kalle völlig unmotiviert. Die Rechtfertigung des Drehbuchs (Andy Cremer, Josh Broecker) ist nur halbwegs plausibel: Desiree spürt, das mit Kalle irgendwas nicht stimmt, und hat offenbar einen Hass auf alle Männer, seit ihr geschiedener Mann sie verlassen hat. Der Ex, Werner (Peter Schneider), betreibt den riesigen und ungleich moderneren Campingplatz "Meeresglück" (groß geschrieben) ganz in der Nähe. Er war es, der das Preisausschreiben gewonnen hat; Martha hat ihm den Sänger am Bahnhof vor der Nase weggeschnappt. Als die Wahrheit ans Licht kommt, fühlt sich Kalle prompt als PR-Zugpferd missbraucht.
"Camping mit Herz" hat einige schöne Momente zu bieten. Die Szene, in der sich Kalle und Desiree erstmals näherkommen, als sie einander von ihren toten Vätern erzählen, ist sehr berührend. Auch die teilweise recht melancholische Musik (Siggi Müller, Hermann Skibbe, Jörg Magnus Pfeil) passt mit ihrer akustischen Bottleneck-Gitarre sehr gut zu dem Film. Dass Kalle mehr als bloß ein nörgeliger Ex-Star ist, belegen die warmherzigen Telefonate mit seiner alten Mutter (Margot Nagel), der er schließlich ein zu Herzen gehendes Abschiedslied widmet. Ohrt singt seine Songs selbst und macht das derart gut, dass man zweimal hinhören muss, um seine Stimme zu erkennen. Von ähnlicher Qualität ist auch die Bildgestaltung (Eckhard Jansen), weil die herbstlichen Aufnahmen die Stimmungen der Geschichte perfekt widerspiegeln; das gilt vor allem für die wunderschön fotografierten Kalenderbilder von Himmel, Meer und Dünen am Campingplatz (gedreht wurde in Zingst auf der Halbinsel Darß).
Der erfahrene Regisseur Broecker steht dank diverser Reihen- und Serienepisoden ohnehin für ein gutes handwerkliches Niveau; herausragende Produktionen wie etwa die ARD-Trilogie "Eltern allein zu Haus" sind in seiner Filmografie allerdings eher selten. Auch "Camping mit Herz" gehört in die Abteilung "Gebrauchsfernsehen": kann, muss aber nicht. Es gibt witzige kleine Missgeschicke, aber auch unnötig übertriebene Momente (Werner spuckt sein Essen aus, als er Desiree mit Kalle im Fernsehen sieht). Größtes Manko ist jedoch die fehlende Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern: Ohrt und Amft fremdeln viel zu sehr miteinander, um es jenseits der Verbalinjurien unterschwellig knistern zu lassen. Vielleicht war in einer früheren Drehbuchversion ja eine Romanze zwischen Kalle und Martha geplant; das wäre nicht nur plausibler und realistischer gewesen, sondern hätte womöglich auch schauspielerisch besser funktioniert. Produziert wurde der Film übrigens von action concept; das ist das Unternehmen, das im Wesentlichen "Alarm für Cobra 11" herstellt.