Irgendwo im Bergischen Land ist eine junge Frau auf dem Heimweg vom Sommerfest eines Sportvereins ermordet worden. Die Spuren am Körper des Opfers deuten auf eine Vergewaltigung hin, und weil das halbe Dorf an dem Fest teilgenommen hat, gibt es entsprechend viele Verdächtige. Das klingt nach einer handelsüblichen Krimihandlung, und tatsächlich ist die Geschichte, die sich Nicole Armbruster ausgedacht hat, zunächst nicht sonderlich spektakulär. Regisseur Sebastian Ko, der für den WDR die letzten Kölner "Tatort"-Episoden gedreht und dabei einige vorzügliche Filme inszeniert hat, setzt das Drehbuch jedoch auch dank der Bildgestaltung (Andreas Köhler) und der wie stets im ZDF-Krimi vorzüglichen Musik (Olaf Didolff) ziemlich fesselnd um.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Abgesehen davon sorgt Armbruster mit zwei entscheidenden Ideen dafür, dass die Ermittlungen für Dorn kein Fall wie jeder andere sind: Dorfpolizist Tom Petersen (Johannes Zirner) ist der Bruder des Opfers und will sich an der Mördersuche beteiligen, schließlich kennt er sämtliche Verdächtigen; und natürlich spricht aus Dorns Sicht genau dies dagegen, ihn die Befragungen durchführen zu lassen. Die Beziehung der beiden steht allerdings recht bald unter einem anderen Vorzeichen: Seit "Prager Botschaft" liegt der Vater (Ernst Stötzner) der Kommissarin im Koma; es ist fraglich, ob er wieder aufwachen wird. Die jeweilige besondere Situation macht Petersen und Dorn zu Seelenverwandten. Liebe ist es eher nicht, was sie verbindet, aber sie verbringen zumindest die Nächte miteinander, weshalb sich Privat- und Berufsleben fortan nur schwierig trennen lassen; und das wird später noch gravierende Folgen haben. Zunächst unterläuft der Beamtin jedoch ein erheblicher Lapsus. Eine Zeugin ist sich zu hundert Prozent sicher, den Mörder in der Nacht gesehen zu haben, aber mitten in ihre Aussage platzt ein Anruf des Krankenhauses, dass sich der Zustand von Richard Dorn verschlechtert habe. Prompt begeht die Tochter einen Fehler, der schließlich vor Gericht zur Freilassung des mutmaßlichen Mörders führt, und damit ist er aus dem Schneider, weil man in Deutschland nach einem Freispruch nicht erneut angeklagt werden darf. Die schockierten Eltern (Lena Stolze, Uwe Preuss) wollen das Urteil nicht wahrhaben und lassen sich zu einer verhängnisvollen Verzweiflungstat hinreißen.
Armbruster hat eine zumindest von Ferne vergleichbare Geschichte im dritten van-Leeuwen-Krimi, "Der Tod und das Mädchen" (ZDF 2018), erzählt; dort konnte ein Vergewaltiger nicht belangt werden, weil der Fall verjährt war. Zuvor hat die Autorin unter anderem das Drehbuch zu Stefan Krohmers böser Tragikomödie "Zur Hölle mit den anderen" (2017) geschrieben. Der Reiz des "Helen Dorn"-Films liegt wie schon bei "Prager Botschaft" nicht zuletzt im Ortswechsel; es ist ja ohnehin immer interessant, wenn sich Großstadtermittler in die Provinz verirren, zumal Ko und Kameramann Köhler den Kontrast mit vielen Waldbildern unterstreichen. Davon abgesehen wirkt "Nach dem Sturm" jedoch nicht nur thematisch eine Nummer kleiner als der letzte Film, in dem die Kommissarin einen Mann befreien konnte, der vor Jahren entführt worden war. Das Opfer spielte August Zirner, diesmal ist sein Sohn Johannes Partner von Anna Loos. Trotzdem sind die Liebelei zwischen dem Dorfpolizisten und der LKA-Kommissarin sowie die juristischen Feinheiten des Falls letztlich ein bisschen wenig, um diese elfte 2Helen Dorn"-Episode auf das Niveau vieler früherer Filme der Reihe zu heben. Irritierend kommt hinzu, dass die Titelheldin mit neuer Ponyfrisur eine zumindest flüchtige Ähnlichkeit mit Anna Schudt als Dortmunder "Tatort"-Kollegin hat.
Entscheidender ist jedoch, dass Ko nur selten echte Krimispannung aufkommen lässt. Sein letzter "Tatort" aus Köln, "Weiter, immer weiter", litt unter anderem daran, dass der Regisseur einige Szenen überinszeniert hat; in "Nach dem Sturm" ist eher das Gegenteil der Fall. Sehenswert ist der Film nicht zuletzt wegen der Art und Weise, wie Ko die Beziehung zwischen dem Dorfpolizisten und der Großstadtkommissarin inszeniert. Sie bahnt sich an, als beide im Gasthof sitzen und vor sich hin trinken, rauchen, starren; ein Schnitt, und schon fallen sie in Dorns Zimmer über einander her, wobei nur die Musik, aber keinerlei Geräusche zu hören sind. Dieses Stilmittel wiederholt sich am Schluss, nur unter anderen Vorzeichen: Die Bilder sind fast die gleichen, aber nun kämpfen die beiden miteinander. Die Musik ist ohnehin mindestens genauso vielschichtig wie die Handlung. Einen ähnlichen Pas de deux zwischen optischer und akustischer Ebene gibt es schon zu Anfang, als Dorn ihren Vater mit Tony Holidys Siebzigerjahre-Partyhit "Tanze Samba mit mir" beschallt und das Lied in grausigem Kontrast auch die Bilder vom Überfall auf die junge Frau begleitet.