TV-Tipp: "Endlich Witwer" (ZDF)

Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Endlich Witwer" (ZDF)
Solche Glücksfälle sind selten, aber es gibt sie: Filme, die wunschlos glücklich machen. Drehbuch, Schauspieler, Bildgestaltung, Ausstattung: Selbst notorische Nörgler dürften es schwer haben, bei dieser Komödie ein Haar in der Suppe zu finden. Schon der Titel ist in seiner treffenden Schlichtheit brillant: "Endlich Witwer" bringt die Handlung perfekt auf den Punkt.

Dass so etwas nicht selbstverständlich ist, hat das ZDF erst kürzlich gezeigt, als es eine ähnlich anspruchsvolle Komödie "Mein Freund, das Ekel" genannt hat. Auch Regisseurin Pia Strietmann musste in dieser Hinsicht schon mal ganz stark sein, als die ARD-Tochter Degeto ihrem Freitagsfilm über einen hochbegabten Jungen den fragwürdigen Titel "Mein Sohn, der Klugscheißer" (2016) verpasste. Zuvor hatte sie ebenfalls für die Degeto ihren nicht minder sehenswerten ersten Fernsehfilm gedreht, "Sturköpfe" (2015). 

Mit "Endlich Witwer" hat sich die Regisseurin erneut gesteigert, aber der entscheidende Name dürfte dennoch Martin Rauhaus sein. Der Schöpfer der ARD-Reihe "Hotel Heidelberg" genießt spätestens seit seinem tragikomischen Krebsdrama "Ein starker Abgang" (2009, ZDF) einen Ruf als Dialogkoryphäe, den er beispielsweise mit den "Allmen"-Krimis nachhaltig bestätigt hat. Hier erzählt der Autor eine Geschichte, die zunächst wenig einladend klingt. Sie beginnt mit einem Monolog: Der sechzigjährige Kunstrasenhersteller Georg Weiser (PR-Slogan: "Alles im grünen Bereich"), vorzeitig gealtert und von Joachim Król uneitel bis an die Schmerzgrenze verkörpert, ärgert sich wieder mal, dass er warmes Bier trinken muss, weil im Kühlschrank kein Platz mehr war. Einmal in Fahrt, schimpft er noch über ein paar andere Dinge, die ihn ganz erheblich am Zusammenleben mit seiner Frau stören. Er erwartet offenbar keine Antwort, aber dass die Gattin überhaupt nicht reagiert, wundert ihn dann doch: Sie ist in ihrem Fernsehsessel friedlich entschlafen. Nach der Beerdigung befreit er das Haus erst mal von dem ganzen spießigen Plunder, vom hässlichen Mobiliar bis zu den Nippesfigürchen; und dann füllt er den Kühlschrank von oben bis unten mit Bierflaschen. Der acht Minuten lange Prolog endet mit dem Titel, der angesichts der tiefen Befriedigung in Georgs Gesicht nicht mal ein Ausrufezeichen benötigt: "Endlich Witwer".

Bis hierher würde die Handlung sogar als makabrer Kurzfilm funktionieren, aber tatsächlich geht die Geschichte jetzt erst richtig los, denn Grantler Georg, der sich fortan hemmungslos der Wohlstandsverwahrlosung hingibt, muss sich irgendwie zum Sympathieträger wandeln. Der Misanthrop, den Rauhaus dem Hauptdarsteller gewissermaßen auf den Leib geschrieben hat, weil der Schauspieler gern mal einen Typen wie Alfred Tetzlaff aus der WDR-Kultserie "Ein Herz und eine Seele" verkörpern wollte, ist ein Bruder im Geiste des zynischen Schriftstellers Kilian, den Bruno Ganz so unnachahmlich in "Ein starker Abgang" gespielt hat. Kilian war ein ähnlich hoffnungsloser Fall, wurde angesichts einer unheilbaren Krankheit aber schließlich doch noch ein besserer Mensch. Rauhaus erspart seinem Antihelden zwar eine Komplettläuterung, die auch unglaubwürdig gewesen wäre, aber am Ende beherzigt Georg immerhin ein paar Grundregeln des menschlichen Miteinanders. Damit ihm der Sinneswandel nicht aus heiterem Himmel widerfährt, setzt der Film vorher akustische Zeichen: Der Pink-Floyd-Klassiker "Wish You Were Here" (Ich wünschte, du wärst hier) deutet an, dass dem Witwer womöglich doch jemand fehlt; und sei es nur ein Sparringspartner. Musikalisches Leitmotiv ist jedoch "Child in Time" von Deep Purple. Der Song geistert ähnlich durch den Film wie ein früherer Freund und Mitschüler (Andreas Hoppe), der wie ein personifiziertes schlechtes Gewissen für die Aufbruchstimmung der Jugendjahre in den Siebzigern steht.

Größeren Einfluss auf Georgs Dasein hat zunächst jedoch seine verhuschte Tochter Susanne (Friederike Kempter), die dem Vater angesichts der Vermüllung seines Domizils eine Putzfrau ins Haus schickt. Gisela (Anneke Kim Sarnau) ist zwar ebenfalls verwitwet, aber Rauhaus verzichtet auf jedwede romantische Attitüde. Die Konstellation funktioniert stattdessen ähnlich wie zuletzt in "Mein Freund, das Ekel": hier der Menschenfeind, dort die alleinerziehende Mutter, deren Schicksal den Alten irgendwie doch rührt. Als Gisela auf einen Verehrer (Peter Jordan) reinzufallen droht, den Georg für einen Hochstapler hält, ergreift er zum vermutlich ersten Mal seit seiner Hochzeit Initiative für jemand anderen; auf diese Weise gelingt es Rauhaus auch, das zerrüttete Verhältnis zwischen Georg und seinem Sohn (Tristan Seith) zu kitten, denn der vom Vater als Versager verachtete Gerd ist Privatdetektiv und ziemlich top in seinem Job.

Auch jenseits der ausnahmslos vorzüglichen Schauspieler finden sich eine Menge guter Argumente für den einen oder anderen Fernsehpreis. Gemeinsam mit den Gewerken Bildgestaltung (Florian Emmerich) und Produktionsdesign (Oliver Schiefner) hat Regisseurin Strietmann dafür gesorgt, dass Georg wie in einer Gruft lebt: Sein Dasein wird von Brauntönen in allen nur denkbaren Schattierungen dominiert. Die Komponistin Martina Eisenreich hat die Metamorphose der Hauptfigur mit zunehmend nachdenklich klingender Musik unterlegt. Trotzdem sind es neben Króls formidablem Spiel vor allem Rauhaus’ Einfälle, die "Endlich Witwer" zu einer herausragend guten TV-Komödie machen, allen voran die mehrfachen Begegnungen mit zwei uniformierten "Blödmannsgehilfen". Auch die Wandlung fällt nicht vom Himmel: Anstoß ist ein Abi-Treffen, bei dem Georg ein regelrechtes Erweckungserlebnis hat, als sein alter Klassenlehrer (Dieter Hallervorden) den Curd-Jürgens-Chanson "60 Jahre und kein bisschen weise" vorträgt. Für die optische Umsetzung dieser Selbsterkenntnis findet der Film ebenfalls ein treffendes Bild: Georg steht vor einem Spiegel und verwandelt sich in just jenen Teufel, als den ihn Giselas Sohn gezeichnet hat.