Dieter Hallervorden war dank seiner Comedy-Reihe "Nonstop Nonsens" (1975-1980) und Kinoklamotten wie der "Didi"-Reihe (1984-1988) lange Zeit als Klamaukkomiker verschrien. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn für eine ernste Rolle zu engagieren; bis Kilian Riedhof ihn unbedingt für sein Kinodebüt "Sein letztes Rennen" (2013) verpflichten wollte. Für Zuschauer, die seine "Palim, Palim"-Phase gar nicht kennen, ist Hallervorden nicht zuletzt dank Til Schweigers Kinoerfolg "Honig im Kopf" ein ernstzunehmender, hochseriöser und großartiger Darsteller tragikomischer Altersrollen.
In "Mein Freund, das Ekel" darf der Schauspieler mal eine ganz andere Seite ausleben, und es zeigt sich wieder mal, dass Komödianten hervorragende Schurkendarsteller sein können, denn Olaf Hintz macht dem Titel alle Ehre: Der verwitwete frühere Lehrer (Deutsch, Latein, Altgriechisch) ist seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und auf Hilfe angewiesen. Allerdings ist er auch ein derart ungenießbarer Zeitgenosse, dass es niemand länger mit ihm aushält; seine Tochter ist schon vor zwanzig Jahren vor ihm geflohen, seither haben die beiden keinen Kontakt mehr. Jetzt verliert Hintz auch noch den letzten Menschen, auf den er sich verlassen konnte: Schwester Elfie (Ursela Monn) hat sich in der gemeinsamen riesigen Berliner Altbauwohnung 15 Jahre lang ohne ein Wort des Dankes für Olaf aufgeopfert, nun ist es genug; sie verabschiedet sich mit einer Internetbekanntschaft auf eine sechsmonatige Kreuzfahrt. Immerhin überlässt sie den Bruder nicht seinem Schicksal und arrangiert eine Win/Win-Situation: Wohnen gegen Pflege. Natürlich erfüllt keiner der Kandidaten Olafs strenge Erwartungen. Am Schluss bleibt als einzige Trixie Kuntze (Alwara Höfels) übrig, was nicht nur zur lustigen Kombination Hintz & Kuntze führt, sondern auch zu einer Paarung denkbar größer Gegensätze: hier der hochgebildete Eigenbrötler, dort die leutselig-laute alleinerziehende Mutter dreier Kinder von offenkundig drei verschiedenen Vätern (Hintz spricht von den "Vereinten Nationen"), die ein großes Herz und mehrere Minijobs hat, aber nicht lesen kann; es ist so etwas wie der Einbruch der Wirklichkeit in eine zwar nicht beschauliche, aber zumindest überschaubare Welt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Kontrast ist eine dankbare Basis für ein Lustspiel, aber Petry hat bei seinem ersten anspruchsvollen Fernsehfilm nach diversen Teenie-Kinokomödien à la "Doktorspiele" einen Film der eher leisen Töne gemacht. Natürlich betont die Handlung die Unterschiede zwischen den beiden Hauptfiguren, doch ein gewisser realistischer Rahmen bleibt stets gewahrt. Eine besondere Rolle spielen die Kinder, wobei sich die Geschichte alsbald auf den halbstarken Murat (Julius Gabriel Göze) konzentriert. Als Hintz den trotzigen Teenager - begabter Pianist und Schulschwänzer - beim Klauen erwischt, schließt er einen Handel: Murat wird seine Hausaufgaben fortan unter der Aufsicht des früheren Lehrers machen und darf dafür auf dem Klavier spielen, das einst Hintz’ Tochter gehörte. Der Junge hat sich jedoch mit ein paar üblen Burschen eingelassen, und die wollen ihr Geld zurück. Als sich Trixie, die außerdem noch alte Mietschulden hat, zu einem verzweifelten Schritt entschließt, geht die Zweckgemeinschaft in die Brüche.
Mit Alwara Höfels ist die Rolle der Kontrahentin ähnlich perfekt besetzt, zumal die Schauspielerin bei ihrer Verkörperung der Frohnatur nicht übertreibt; im Grunde hätte sie sich selbst den etwas aufgesetzt klingenden Berliner Dialekt sparen können. Star des Films aber ist unzweifelhaft Hallervorden, der den Studienrat mit viel Süffisanz versieht und auf den nachlässigen Sprachgebrauch seiner neuen Mitbewohner selbstredend entsprechend empfindlich reagiert. Die Beleidigungen des verbitterten Zynikers sind umso wirkungsvoller, weil er dabei keine Mine verzieht; allerdings bleiben viele seiner Diffamierungen wirkungslos, weil Trixie die Fremdwörter nicht versteht.
Petry hat jedoch nicht nur knackige Dialoge geschrieben, sondern auch für diverse konfrontative Momente gesorgt, wobei die Zusammenstöße keineswegs nur zwischen Hintz und Familie Kuntze erfolgen. Gleich zu Beginn hat der alte Mann eine Auseinandersetzung mit einem rücksichtslosen Autofahrer (Axel Stein in einer Gastrolle), der ihm später gar die Polizei auf den Hals hetzt. Die neue Mitbewohnerin, die er eigentlich vor die Tür setzen wollte, nimmt dem Schnösel dank Trixiebzehn das Segel aus dem Wind und sorgt dafür, dass ausgerechnet der Misanthrop Hintz als bedauernswertes Opfer eines Verkehrs-Rowdys erscheint. Später sorgt sie in einer Konditorei dafür, dass ein paar alte Schabracken am Nebentisch nicht länger ihr Gift gegen den Witwer verspritzen. Zu den munteren Wortwechseln passt nicht nur die flotte Musik (Paul Eisenach), sondern auch die Bildgestaltung. Obwohl sich große Teile der Handlung in der Wohnung abspielen, ist die Kamera erstaunlich agil, zumal Petry und der erfahrene Kameramann Gerhard Schirlo erkennbar nach besonderen Perspektiven gesucht haben.