Wie wir gepflegt werden wollen

Pflegeheime im Test
© Peter Atkins /stock.adobe
Wird es trostlos sein im Heim? Werde ich mich alleine fühlen? 80 Prozent der Deutschen sagen, sie hätten Angst, im Alter in ein Pflegeheim zu müssen.
Wie wir gepflegt werden wollen
Muss ich Angst vor dem Pflegeheim haben? Diese Frage stellte sich evangelisch.de-Redakteurin Lilith Becker, nachdem sie eine demente Frau vor ihrer Haustür getroffen hatte. Diese Geschichte ist ein Versuch, die Angst vor dem Heim aufzulösen.

Die Angst

Ein kalter Tag im März, es nieselte. Ich fegte fröstelnd vor der Haustür Laub zusammen, als eine Frau mit Rollator vorbeilief. Sie trug eine dünne Strickjacke und Hausschuhe. Sie ist eine von diesen Menschen, dachte ich, von denen man manchmal im Radio hört; an Alzheimer erkrankt, aus dem Pflegeheim weglaufen, orientierungslos. Erst vergangenes Jahr hatte ich es bei meinem Schwager mitbekommen, wie seine Oma aus dem Pflegeheim weggelaufen war, die Familie in Aufruhr stundenlang unterwegs, um die alte Dame zu finden.

 3,4 Millionen Pflegebedürftige leben in Deutschland, jeder Vierte lebt im Heim. Das heißt im Umkehrschluss: Die Pflege Zuhause ist für dreiviertel aller Pflegebedürftigen die Realität - und zwar eine Realität, die der überwiegende Teil der Deutschen anstrebt. Eine Befragung ergab, dass 80 Prozent der Deutschen Angst haben, in einem Heim gepflegt zu werden.

Ansprüche an die Pflege

Wir wohnen nur ein paar hundert Meter von einem Altersheim entfernt, die alte Frau kam von dort, fand ich schnell heraus, als ich sie ansprach. Kein Pförtner, keine Pfleger hatten die alte Frau aufhalten können, das Heim zu leicht bekleidet zu verlassen. "Lungenentzündung", schoss es durch meinen Kopf. Ich lieh ihr eine Jacke und brachte sie zurück zum Altersheim. Eigentlich wolle sie zum Zahnarzt, erzählte sie und zeigte mir ihren abgebrochenen Schneidezahn. Es war Samstag, die Ärzte im Ort hatten geschlossen.

Menschen haben sehr unterschiedliche Ansprüche: zwischen bettlägerig bis mobil muss so ein Altersheim auf alles eingestellt sein, was sich gar nicht jedes Heim leisten kann.

Dennoch könne man bei der Auswahl darauf achten, ob ein Angehöriger beispielsweise ein eigenes Zimmer braucht, das er abschließen kann, damit die dementen Mitbewohner nicht plötzlich im Zimmer sitzen, sagt Manfred Carrier. Er arbeitet für die Diakonie Deutschland und kennt viele Pflege-Einrichtungen. "Oder ist jemand mäkelig beim Essen und braucht eine gewisse Auswahl?" Carrier rät, sich ein Heim ganz genau anzuschauen, auf die Atmosphäre zu achten und den Umgang der Menschen dort untereinander zu beobachten. Es gibt sogar Checklisten, auf was man bei der Auswahl des Pflegeheims achten kann.

Hoher Krankenstand

Die alte Frau, die ich gefunden hatte, wusste ihren Namen. Auf die Frage, ob sie wisse, in welcher Stadt sie sei, lächelte sie freundlich und sagte: "Nein. In welcher denn?" Sie erzählte von ihrem Sohn und bedankte sich, dass ich sie begleitete, denn sie stützte sich schwer auf ihren Rollator, ihre Beine zitterten. Mehrmals sagte sie, sie könne nicht mehr laufen. "Wir schaffen das zusammen", sagte ich. Sie lächelte.

Im Eingangsbereich des Altersheims ist eine Theke, die der Empfang sein könnte. Die paar Male, die ich im Altersheim war, saß niemand dort. Auch heute nicht. Stattdessen sitzen ungefähr 15 alte Leute auf Stühlen und Rollstühlen herum. Weder reden sie, noch bewegen sie sich. Die Zeit scheint eingefroren in dieser Wartehalle. Dahinter beginnt ein Flur, durch den eine Putzfrau einen Reinigungswagen schiebt.

"Wenn der Krankenstand hoch ist, ist auf dem Papier jemand da, aber das nutzt ihnen dann auch nichts.", sagt Manfred Carrier. Denn zusätzliche Angebote und Aufmerksamkeit für die Bewohner eines Heims gibt es eben nur, wenn das Personal und Ehrenamts-Initiativen dies leisten können.

Im Bundesdurchschnitt haben Menschen in Pflegeberufen seit vielen Jahren einen höheren Krankenstand als Menschen in anderen Branchen. Die physischen und psychischen Belastungen sind hoch: "Wenn eine Pflegerin oder ein Pfleger in der Nachtschicht für 50 Patienten zuständig ist, ist auch keine Zeit am Bett zu sitzen und die Hand zu halten, wenn jemand stirbt“, sagt Manfred Carrier.

Frustrationen in der Pflege

Viele Pflegende können die Zuwendung, die die Menschen brauchen, aus zeitlichen Gründen nicht entgegenbringen. Was Pflegende häufig frustriert, ist das Gefühl, den Menschen nicht gerecht zu werden. Hinzu kommt die schlechte Bezahlung. Altenpfleger verdienen durchschnittlich 19 Prozent weniger als Krankenpfleger. Und nur jeder fünfte Altenpfleger wird überhaupt nach Tarif bezahlt.

Erst die dritte Pflegerin, die ich im Altenheim ansprach, verstand deutsch. Ich deutete auf die alte Frau und sagte: "Ich habe sie bei uns vor der Haustür getroffen." Die Pflegerin antwortete, die Frau am Arm greifend und mit sich ziehend: "Das macht sie ständig. Sie ist plemplem", und wedelte mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht, um den Grad der Verrücktheit der ausgebüxten Frau zu unterstreichen. Die alte Frau lächelte mich entschuldigend an und zuckte sanft mit den Schultern.

Ich verließ das Altersheim und lief im Regen nach Hause und weinte - es fühlte sich an, als hätte ich sie alleine gelassen. Ich konnte mir in diesem Moment nicht vorstellen, jemals meine Eltern in einem solchen Altersheim unterzubringen oder selbst dort zu leben.

Fachkräftemangel und die Zukunft

Knapp eine halbe Million Beschäftigte arbeiten gegenwärtig als Altenpfleger und Altenpflegehelfer. Im Jahr 2017 waren pro Monat durchschnittlich 23.000 offene Stellen für die Altenpflege gemeldet. Den Prognosen des Deutschen Instituts der Wirtschaft zufolge, wird die Nachfrage nach ausgebildetem Pflegepersonal noch steigen.

Seit einiger Zeit gibt es auf Bundesebene die Konzertierte Aktion Pflege, die ab Juni 2019 ihre Ergebnisse vorstellt. Familien- , Arbeits- und Gesundheitsministerium haben fünf Arbeitsgruppen gemeinsam mit Anbietern auf dem Pflegemarkt gegründet, die verbesserte Bedingungen in der Pflege schaffen sollen - dazu gehört es vor allem, den Beruf attraktiv zu machen, zum Beispiel durch flächendeckende Tarifverträge. Wie diese Gehälter finanziert werden sollen, ist offen. Dass eine Gesellschaft sich motivierte Pflegende leisten muss, ist unbestritten.

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Das Umlagesystem der Sozialversicherungen ist schon seit mindestens zwei Jahrzehnten als nicht zukunftsfähig in der Kritik. Neun bis zehn sozialversicherungspflichte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen derzeit für eine zu pflegende Person auf. Und das Verhältnis von Einzahlenden zu Pflegebedürftigen wird ungünstiger.

Das richtige Heim finden

Im Internet stand, dass das Altersheim in unserer Nachbarschaft die Note 1,0 vom Medizinischen Dienst der Krankenkasssen (MDK) habe. So eine Note, lernte ich später von Annette Klede von der Diakonie Deutschland, habe aber nichts damit zu tun, ob der menschliche Umgang in einem Altersheim stimme. Benotet wird beispielsweise, ob das Personal die ärztlich verordneten Medikamente verabreicht, ob es verhindert, dass sich Patienten wundliegen, ob die Alten genug zu trinken bekommen und ob regelmäßig dieselben Pfleger auf der Station sind.

Statt sich auf die Bewertungen im Internet oder des MDK zu verlassen, rät Annette Klede, selbst aktiv zu werden und nach den Konzepten eines Heims zu fragen: "Wie geht ein Pflegeheim mit Sterben und Tod um? Arbeitet es mit einem Hospizdienst zusammen? Welche Tagesangebote gibt es in einer Einrichtung? Wenn mein Angehöriger dement ist, sitzt jemand an der Pforte und passt auf?"

Die speziellen Bedürfnisse eines Angehörigen zu wissen und konkret nach dem Umgang einer Einrichtung damit zu fragen, sei der beste Weg, das passende Heim zu finden. Zudem könne man diese individuellen Wünsche und Bedürfnisse schriftlich festlegen, sagt Klede, sodass die Mitarbeiter einer Einrichtung besonders darauf achten können - und man diese Vereinbarung als Angehöriger auch selbst später noch überprüfen könne.

Trotz all der Widrigkeiten sind Manfred Carrier und Annette Klede überzeugt, dass es viele Einrichtungen gibt, die eine gute Arbeit leisten. Denn die Pflege sei gegenwärtig ein Beruf für Idealisten: "Ein zugewandtes und verlässliches Personal ist wichtig", sagt Carrier. "Eine Frau, die voller Angst in ein Pflegeheim gegangen ist, weil sie zuhause den Anforderungen an ein selbstständiges Leben nicht mehr gewachsen war, kann auf einmal glücklich und befreit ihren Alltag genießen, weil die täglichen Sorgen wegfallen."

Für "meine" alte Frau kann ich nur hoffen, dass es ihr insgesamt genauso geht. Und erst vor ein paar Tagen hörte ich, dass jemand Klavier spielte im Altersheim nebenan - denn meine Wohnung grenzt an den Hof des Heims - und als sie laut "Hoch auf dem gelben Wagen sangen", hoffte ich, dass sie auch dabei wäre und mitsänge.