"Um über Konservatismus zu sprechen, brauche ich die AfD nicht"

Hans Leyendecker, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
© Thomas Frey/dpa
Hans Leyendecker, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
"Um über Konservatismus zu sprechen, brauche ich die AfD nicht"
Kirchentagspräsident Leyendecker freut sich auf einen politischen Kirchentag
Die anhaltende Debatte über den Ausschluss der AfD von den Bühnen des Kirchentags ist bei Kirchentagspräsident Hans Leyendecker kein Grund für schlechte Laune. Im Gegenteil, knapp drei Monate vor dem Kirchentag in Dortmund ist die Stimmung gelöst. Der ehemalige Investigativ-Reporter freut sich auf einen politischen Kirchentag, der nah an die Menschen heranrückt. Warum er keine Angst mehr hat, das mit dem Kirchentag zu verbocken, warum der getaufte Katholik evangelisch wurde und welchen Tipp er für die katholische Kirche hat, verrät er im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
01.04.2019
epd
Franziska Hein und Michael Ridder

Sie haben vergangenes Jahr in einem Interview gesagt, Sie hätten große Angst, das mit dem Kirchentag zu verbocken. So kurz vor dem Termin, wie steht es um Ihre Nerven?

Hans Leyendecker: Meine Stimmung ist gut. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es ein guter, ein wichtiger Kirchentag wird. Es wird ein großes Glaubensfest und gleichzeitig ein sehr politischer Kirchentag. Angefangen bei der Stadt Dortmund als Veranstaltungsort, die die bunte Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt und gleichzeitig zeigt, wie man einen Strukturwandel schaffen kann.  Wir werden uns intensiv dem Thema Umwelt widmen. Wenn die Menschheit dabei ist, die Erde umzubringen, müssen alle handeln. Bei dem Thema möchten wir drängeln. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine drei Amtsvorgänger werden kommen. Und auch mit dem Ausschluss der AfD haben wir ein politisches Zeichen gesetzt

Über den Ausschluss der AfD von den Podien des Kirchentages wird nach wie vor viel diskutiert...

Leyendecker: Es sind rote Linien seit 2017 überschritten worden. Diese Partei hat nochmal einen Schritt Richtung Radikalisierung gemacht, die Brandmauern sind weg. Wer gegen Menschengruppen hetzt, Antisemitismus relativiert und die deutsche Erinnerungskultur antastet, der darf nicht auf dem Kirchentag auftreten.

Gleichzeitig wollen Sie sich der Debatte mit Sympathisanten nicht verweigern. Wo finden sich solche Begegnungsräume im Programm wieder?

Leyendecker: Wir werden Barcamps haben, zu denen auch Sympathisanten und Wähler der AfD eingeladen werden. Wir wollen Menschen erreichen, die über die Entwicklungen in der Gesellschaft irritiert sind, aber kein Gehör finden. Außerdem wird es eine wichtige Veranstaltung zu Konservatismus geben. Da tritt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf, da kommen der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, und der Mainzer Historiker Andreas Rödder, die jeweils Bücher über Konservatismus geschrieben haben. Da geht es auch um Maß und Mitte. Konservativ sein ist eine politische Haltung, mit der auch ich etwas anfangen kann. Um über den neuen Konservatismus zu sprechen brauche ich aber die AfD nicht. AfD-Funktionäre sind nicht eigentlich konservativ, sie sind Extremisten, die vornehmlich von Anti-Stimmungen leben.

"Die Kirche als Institution steht derzeit als Gesamtes infrage"

Früher waren Sie mal Katholik. Wie kam es, dass Sie evangelisch wurden?

Leyendecker: Das liegt an meiner Frau, die evangelisch ist. Ich habe früh geheiratet, damals lebten wir in Bayern, da war eine ökumenische Hochzeit nicht möglich. Die fünf Kinder sind evangelisch erzogen worden. Die kirchliche Trauung haben wir dann 2008 - nach 36 Ehejahren - in einem evangelischen Gottesdienst nachgeholt. Jahre danach bin ich konvertiert. Meine Freiheit als Christenmensch ist mir wichtig. Ich möchte nicht, dass mir Oberherren erklären, was ich glauben soll.  

Über die Ökumene haben Sie 2017 gesagt: Wir gewinnen gemeinsam, wir verlieren gemeinsam. Wie ist Ihr Eindruck jetzt?

Leyendecker: Bei der Missbrauchs-Diskussion sieht man, dass sich das sogar noch verstärkt hat. Draußen wird nicht unterschieden, was bei den Protestanten und bei den Katholiken jeweils den Missbrauch strukturell begünstigt. Kreuzzüge, Hexenverbrennung und dann ist man ganz fix beim Missbrauch - die Kirche als Institution steht derzeit als Gesamtes infrage. Der Missbrauchsskandal trägt zum Verlieren bei.

Hätten Sie die Möglichkeit, was würden Sie Kardinal Marx oder dem Papst raten, wie man das Image der Kirche in der Öffentlichkeit wieder verbessern kann?

Leyendecker: Man darf Bischöfen ohnehin keine Tipps geben, dem Papst schon gar nicht. Aber wie wäre es denn, wenn ein Bischof, der die Situation nicht ertragen kann, mal einen Alleingang macht. Es gibt ja Bischöfe in Deutschland, die in Regionen arbeiten, wo nur noch vier Prozent der Menschen katholisch sind. Gibt es da Sanktionen, wenn die zum Beispiel das gemeinsame Abendmahl für gemischtkonfessionelle Paare praktizieren? Aber die katholische Kirche muss - zwar mit freundlicher Unterstützung von uns - ihre Probleme selbst lösen.

"Die katholische Kirche war mir sehr nah, sie hat mir vieles bedeutet"

Tragen Sie in Ihrer Funktion zu mehr Ökumene bei?

Leyendecker: Die Not, die beide Kirchen eines Tages als Minderheitskirche mal haben werden, wird vermutlich einiges beschleunigen. Ich denke aber, dass ich selbst nicht entscheidend an der Beschleunigung mitwirken kann. Ich bin vielleicht zu ungeduldig und tue mich mit dem, was mancher Bischof sagt, möglicherweise schwerer als derjenige, der die katholische Kirche nie von innen erlebt hat. Ich war im katholischen Internat, ich wollte Priester werden. Die katholische Kirche war mir sehr nah, sie hat mir vieles bedeutet. Trotzdem schätze ich heute noch die Volksfrömmigkeit der katholischen Kirche.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hat nach den Anschlägen von Christchurch ein Kopftuch getragen, um ihre Solidarität mit den Opfern auszudrücken. Wäre eine ähnliche politische Geste von einer führenden deutschen Politikerin denkbar?

Leyendecker: Das war eine menschliche Geste, die unheimlich viel bewirkt hat. Es zeigt, wie man einen solchen Anschlag auch als Gesellschaft gemeinsam ertragen kann. Ob jetzt Frau Merkel, Frau Kramp-Karrenbauer oder Frau Nahles die Kraft zu solch einer Geste hätten, muss jede von ihnen selbst beantworten. Aber ich habe da durchaus Hoffnung.

Haben die Deutschen zu viele Vorbehalte vor dem Kopftuch?

Leyendecker: Was die Situation in Deutschland angeht, möchte ich zwei Punkte trennen: Wenn es um das Problem des Antisemitismus geht, müssen wir darüber sprechen, was junge Muslime so sagen, denken und tun. Da gibt es Arbeit. Denn es sind Leute ins Land gekommen, die dem Judentum seine Existenzberechtigung absprechen wollen. Denen müssen wir erklären, dass jemand, der bei uns leben will, auch unsere historische Verantwortung mit zu tragen hat. Es gibt aber auch etwas, das mich irritiert. Nach meiner Wahrnehmung gab es zum Beispiel bei den NSU-Morden wenige Reaktionen, die über das normale Erschrecken hinausgingen. Ich glaube schon, dass bei Angriffen auf Muslime einige Menschen in diesem Land mit den Schultern zucken.

Die Premierministerin hat auch gefordert, dass Medien den Namen des Attentäters nicht nennen sollen. In Deutschland gab es darüber eine Debatte. Halten Sie es für geboten, den Namen nicht zu nennen und auch das Manifest des Täters nicht zu veröffentlichen?

Leyendecker: Ich kann mich an den Anschlag von Anders Breivik in Norwegen 2011 erinnern. Auch er hatte ein Manifest geschrieben. Bei der "Süddeutschen Zeitung" haben wir damals für die Seite drei das Manifest ausgewertet. Wir hatten damit die bessere Geschichte, weil man den Wahn des Attentäters schildern und seriös aufklären konnte. Allerdings darf man sich an diesen Darstellungen niemals berauschen.

Bei dem Täter von Neuseeland kommt man nicht um die Namensnennung rum, weil seine Tat international so viel Echo hervorgerufen hat und weil der Terrorist ein globales braunes Netzwerk hat. Ich halte es aber für verantwortungslos, dass Medien Ausschnitte des Täter-Videos gezeigt und Fotos von Opfern widerrechtlich genutzt haben. Journalismus darf sich nie zum Handlanger von Terroristen oder Verbrechern machen lassen.