Die erste Szene zeigt zwei Männer an einem Lagerfeuer im Sand, dann folgt der eigentliche Auftakt: Während drei Trinker an der Theke einen Schnaps nach dem anderen wegkippen, erkennt Studentin Lisa (Janina Fautz) im fernen Berlin, dass ihr Traum vom Studium in der pulsierenden Großstadt an der Wirklichkeit zerschellt. Derweil hat ihr Vater, Besitzer der Dorfkneipe "Zum Kühlen Grunde" im Taunus, den letzten Schnaps seines Lebens kredenzt. Also kehrt Lisa ins hessische Körstel zurück, übernimmt das Lokal voller Enthusiasmus und vielen Plänen - und scheitert erneut: Die Kneipe ist hochverschuldet. Rettung naht in Gestalt eines Investors: Im Dorf soll ein Freizeitpark entstehen, alle würden profitieren, vor allem Lisa, denn die würde viel Geld für das Grundstück bekommen; Bürgermeister Schulz (Gustav Peter Wöhler) ist begeistert. Es gibt nur ein Problem: Mittendrin im zukünftigen Parkgelände liegt das Domizil der eigenwilligen Eleonore (Marie Anne Fliegel). Mit Geld und guten Worten wird die vermögende alte Dame nicht zum Verkauf zu bewegen sein, aber Lisa findet zufällig raus, dass sie für einen ehemaligen Castingshow-Teilnehmer schwärmt, und tatsächlich lässt sich Eleonore auf einen Deal ein: Sollte es Lisa gelingen, Nico Hölter (Dennis Schigiol) zu einem Privatkonzert zu überreden, und das auch noch in Unterwäsche, willigt sie in den Verkauf ein. Gemeinsam mit Schulz entwirft die junge Frau einen ebenso raffinierten wie gewagten Plan, wie sie Nico erst nach Körstel und dann zu Eleonore locken kann.
Bis hierher ist "Größer als im Fernsehen" wunderbare Unterhaltung auf hohem Niveau, vorzüglich gespielt, auch in den Nebenrollen mit viel Bedacht besetzt, aber nun kommt eine tragische Note ins Spiel: Nico hat die typische traurige Karriere vieler Castingshow-Sternschnuppen hinter sich und ist mittlerweile froh, wenn er in einem Möbelhaus auftreten darf. Nächste Station auf der Karriereleiter nach unten wäre die Mitwirkung in der Show "Abgestürzt", die frappierende Ähnlichkeit mit dem sogenannten Dschungelcamp eines großen deutschen Privatsenders hat. Entsprechend glücklich ist der durchaus talentierte junge Mann über den begeisterten Empfang, den ihm die Menschen in Körstel bereiten; und prompt bekommt Lisa Skrupel.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Autor des Drehbuchs ist Benjamin Hessler, dessen vorzügliche letzte Arbeit, "Spieglein, Spieglein", ebenfalls einen doppelten Boden hatte: Das "Tatort"-Duo aus Münster suchte einen Mörder, der Doppelgänger der Menschen aus ihrer Umgebung meuchelte. "Größer als im Fernsehen" ist womöglich noch ausgefallener. Als Koproduktion zwischen Arte und dem Hessischen Rundfunk ist der Film erst recht ungewöhnlich. Der HR steht zwar einerseits für vorzügliche "Tatort"-Krimis wie zuletzt "Murot und das Murmeltier", aber seine Beiträge für den "FilmMittwoch im Ersten" fallen regelmäßig aus dem Rahmen und werden von der ARD auch schon mal in den späteren Abend verbannt. Davon kann diesmal keine Rede sein, zumal Hesslers Geschichte gerade auch dank der Umsetzung durch den erfahrenen Regisseur Christoph Schnee ein Vergnügen mit Tiefgang ist. Natürlich übt der Film eine gewisse Kritik am Privatfernsehen, das seine "Superstars" erst hochjubelt und dann im australischen Dschungel dem Gespött preisgibt, aber diese Ebene ergibt sich eher beiläufig.
Mutig ist die Tragikomödie, weil die beteiligten Sender den Film in die Hände zweier junger Schauspieler gelegt haben, selbst wenn Janina Fautz schon oft ihre Klasse bewiesen hat; die "Wilsberg"-Krimis im ZDF zum Beispiel haben durch ihre Mitwirkung einen echten Schub bekommen. Eine Entdeckung ist dagegen der im Fernsehfilm bislang allenfalls am Rande präsente Dennis Schigiol, der dank seiner Ausbildung am Institut für Musik der Hochschule Osnabrück und seiner Mitwirkung in verschiedenen Musicals geradezu prädestiniert für die Rolle des Sängers ist; seine Coverversionen diverser Klassiker von Joe Cocker bis Leonard Cohen können sich in der Tat hören lassen. Für ein Duett von Gustav Peter Wöhler und Dagmar Leesch gilt das hingegen gar nicht, aber auch das hat Methode und ist eine weitere der vielen wunderbaren Ideen, mit denen Hessler und Schnee für viel Kurzweil sorgen. Die Liebe zum Detail zeigt sich unter anderem an einem mit viel Herz gestalteten Autogrammalbum. Es soll Nico überzeugen, dass sogar Größen wie David Bowie und Freddy Mercury schon bei Eleonore zur Privataudienz erschienen sind. Sehr sympathisch ist zudem der Einfall, Lisas Vater (Werner Wölbern) auch nach seinem Ableben immer wieder mal hinter der Theke erscheinen zu lassen. Für einige Heiterkeit sorgt schließlich das Schnapstrio vom Anfang (Rainer Piwek, Jürgen Rißmann, Fritz Roth), das regelmäßig über den "Turbokapitalismus" schimpft, wenn es seinen Deckel bezahlen soll, aber selbstverständlich ebenfalls Teil des Komplotts ist. Unverzichtbar ist auch Nic Romm als Repräsentant des Parkbetreibers, der sich an seinem Vortrag selbst berauscht.
Ähnlich liebevoll ist die filmische Gestaltung. Die Rückblenden sind sehr kunstvoll und oft erst auf den zweiten Blick erkennbar in die Geschichte integriert. Wie clever der Film konzipiert ist, zeigt sich am Schluss. Erst jetzt stellt sich raus, dass die Rahmenhandlung mit den beiden Männern am Strand zwar in der Tat der Rückblick eines Gescheiterten ist, aber sie findet in gänzlich anderem Zusammenhang statt, als die Szenerie vermuten lässt.