2015 hat die ARD den fesselnden Zweiteiler "Das Programm" gezeigt. Beide Filme erzählen im Grunde die gleiche Geschichte, aber der ältere ist ungleich fesselnder und auch deutlich kurzweiliger, obwohl er als Zweiteiler 75 Minuten länger dauert: Ein Zeuge soll bis zu seiner Aussage vor mächtigen Feinden in Sicherheit gebracht werden, und zwar mitsamt seiner Familie, damit die Gegenspieler keinen seiner Angehörigen entführen können. In beiden Geschichten ist die Ehe allerdings längst zerrüttet, was den gemeinsamen Aufenthalt im unfreiwilligen Refugium nicht eben erleichtert.
Der Autor ebenfalls der gleiche: Der dreifache Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt ("Mörder auf Amrum", "Mord in Eberswalde", "Das weiße Kaninchen") ist seit vielen Jahren ein Garant für Hochspannung, hat sich aber auch schon einige Male darüber beklagt, dass Regisseure aus seinen Drehbüchern nicht den Film gemacht hätten, der möglich gewesen wäre. "Der Auftrag" hat jedoch Mängel, die sicher nicht allein Florian Baxmeyer anzulasten sind. Dass der Regisseur sein Handwerk versteht, hat er in den letzten Jahren oft bewiesen: mit diversen "Tatort"-Beiträgen aus Bremen, mit einem ungewöhnlichen "Tatort" aus Berlin ("Dein Name sei Harbinger", 2017) sowie mit dem zweiten Film aus der ARD-Reihe "Harter Brocken". Der Film hieß "Die Kronzeugin" (2017), basierte gleichfalls auf einem Drehbuch von Schmidt, war eine weitere Variation des Zeugenschutzthemas und deutlich spannender als nun die jüngste Kooperation von Autor und Regisseur. In dem Thriller gab es eine von Anja Kling gespielte LKA-Personenschützerin, die sich jedoch unfreiwillig früh aus der Handlung verabschieden musste. "Der Auftrag", ebenso wie "Das Programm und "Harter Brocken" im Auftrag der ARD-Tochter Degeto entstanden, wirkt ein wenig, als habe man Schmidt gebeten, die Geschichte noch mal zu erzählen, aber diesmal mit der Personenschützerin als zentraler Figur. Weitaus interessanter als Polizistin Sarah (Anna Bederke) bei ihrem ersten Zeugenschutzeinsatz ist jedoch der erfahrene Kollege Lobeck, den Oliver Masucci wie eine Hommage an den von Dean Martin gespielten Säufer in dem Howard-Hawks-Western "Rio Bravo" verkörpert. Lobeck ist Alkoholiker und braucht einen bestimmten Pegel, um das Leben überhaupt ertragen zu können, erledigt seinen Job jedoch hochprofessionell. Sarah ist trotzdem schockiert und fordert seine Ablösung, aber da ist es schon zu spät.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
In "Das Programm" war der Gegenspieler ein russischer Mafioso, diesmal geht es um einen libanesischen Clan. Der 16jährige Miki (Aaron Hilmer) hat Gangsterboss Sayed (Timur Isik) in einer Berliner Bar beim kaltblütigen Mord beobachtet. Das Opfer war, wie sich später rausstellt, ein verdeckter LKA-Ermittler. Weil der Mann den Jungen unmittelbar vor seinem Tod per Blickkontakt gewarnt hat, fühlt sich Miki trotz der möglichen Gefahren für sein eigenes Leben und das seiner Eltern Nikola und Klaus (Anja Kling, Gregor Bloéb) verpflichtet, gegen Sayed auszusagen. Der zuständige LKA-Abteilungsleiter Decker (Johannes Allmayer) beauftragt die unerfahrene Sarah mit dem Personenschutz, weil er davon ausgeht, dass sie als unbeschriebenes Blatt noch nicht auf der Gehaltsliste des Sayed-Clans steht. Die kleine Gruppe wird von italienischen Kollegen in einem mondänen Anwesen in der Nähe Roms untergebracht, wo Mikis Eltern, die sich vor zwei Jahren getrennt haben, erst mal ihre Spannungen ausleben.
Es gibt ein paar typische Schmidt-Momente, die großen Spaß machen. Als Lobeck und Miki über die Geräuschkulisse plaudern, belehrt der alte Hase den Jungen: "Gefährlich wird’s erst, wenn die Grillen verstummen"; und selbstredend geschieht genau dies bald darauf. Das Warten auf diese Stille ist dagegen ereignislos und spannungsarm. Dass Miki das Grundstück verlässt, um seiner Mutter Blumen zu kaufen, ist zwar eine schöne Geste, aber angesichts der drohenden Gefahr eher unglaubwürdig. Andere Ungereimtheiten verbergen sich im Detail: Klaus hat einen defekten Fön repariert, er musste nur zwei Kontakte löten; mit der Frage, wo er den Lötkolben her hat, hält sich der Film nicht weiter auf. Dass die Personenschützerin den Namen Sarah Brandt trägt, wird zumindest die Freunde des "Tatort" aus Kiel irritieren (so hieß auch die ehemalige Partnerin von Kommissar Klaus Borowski). Als Gast wirkt Michael Mendl mit, was durchaus seine Berechtigung hat, denn er spielt Sarahs Vater und sorgt schuldlos dafür, dass die Beamtin am Schluss in einem echten Dilemma steckt; das Vater Brandt aber zwischendurch anrufen muss, weil er die Tochter überreden will, einen Kaschmirpullover der verstorbenen Mutter aufzutragen, ist völlig überflüssig.
Stolpersteine dieser Art gibt es mehrere, und mitunter sorgen auch Schnitt und Inszenierung dafür, dass der Film ein bisschen hakt. Viel schlimmer ist jedoch, dass er sich nur halbherzig für seine ohnehin auf wenige Merkmale reduzierten Figuren interessiert. Packend ist "Der Auftrag" immer dann, wenn die Thriller-Musik von Christoph Zirngibl, der in den Sonntagsschmonzetten des ZDF regelmäßig für klebrige Klänge sorgt, die Handlung vor sich hertreibt; und das gilt nicht nur für den fesselnden Auftakt nach überflüssigem Prolog und das Vorschlussfinale mit einer Schießerei auf offener Straße. Zwischen diesen beiden Höhepunkten zeigt sich jedoch viel zu oft, dass der Film mit 105 Minuten exakt eine Viertelstunde zu lang ist; daran ändert auch die vorzügliche Besetzung der Clan-Mitglieder mit Erdal Yildiz als "Vermittler" und Vedat Erincin als gern in Gleichnissen redender ehemaliger Anführer nichts.