Der vor fast genau einem Jahr ausgestrahlte erste "Lissabon-Krimi" mit Jürgen Tarrach als Strafverteidiger Eduardo Silva, "Der Tote in der Brandung", war ein denkbar schlechter Start für die neue Reihe: Die herkömmliche Geschichte hätte überall spielen können, und Krimispannung kam auch keine auf. Immerhin hat Kameramann Klaus Merkel die Stadtansichten gerade nachts in ein betörend schönes Licht getaucht; außerdem hatte der Film mit der jungen Wienerin Vidina Popov als Assistentin des Anwalts ein interessantes neues Gesicht zu bieten. Die zweite Episode war deutlich interessanter, weil Silva diesmal in eigener Sache ermittelte, Rache für den Tod seiner Frau wollte und sich deshalb mit der Mafia anlegte. Nummer drei, "Dunkle Spuren", ist dagegen wieder ein erheblicher Rückschritt, und das nicht nur, weil die Handlung völlig aufregungslos vor sich hinplätschert. Fesselnd ist der Film erst gegen Ende, als die Geschichte endlich für eine überraschende Wendung sorgt. Mit Kathrin Richter und Jürgen Schlagenhof ist bereits das dritte Autorenduo am Werk. Jens Wischnewski, der mit diesem und dem nächsten "Lissabon-Krimi" nach seinem Kinodebüt "Die Reste meines Lebens" und einem noch nicht ausgestrahlten SWR-"Tatort" ("Anne und der Tod") seine Langfilme drei und vier inszeniert hat, ist nach Sibylle Tafel und Martin Eigler schon der dritte Regisseur. Gerade bei einer neuen Reihe wäre es sicher nicht verkehrt, zu Beginn auf Kontinuität zu setzen, aber dafür steht bei der dritten Episode nur Christoph Chassée, der auch bei Teil zwei ("Alte Rechnungen") dabei war und sich bei seiner Lichtsetzung offenbar am Stil von Merkel orientiert hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch macht sich ebenfalls ein Element dieses Films zu eigen, weil es die persönliche Betroffenzeit des Anwalts in den Vordergrund stellt. Eigentlich hat Silva gar keine Lust, den scheinbar eindeutigen Fall zu übernehmen: Mitten in der Stadt ist eine Bekleidungsfabrik in die Luft geflogen. Für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: Vor einem Jahr hat der Besitzer, Antonio Alves (João Didelet), die Versicherungssumme verdoppelt, soeben ist die entsprechende Karenzzeit abgelaufen; außerdem ist er dabei beobachtet worden, wie er den explodierten Dampfkessel manipuliert hat. Dass der Mann glaubwürdig seine Unschuld beteuert, lässt Silva zunächst kalt, aber dann trifft der Fabrikant einen wunden Punkt: Seine Frau liegt im Sterben, deshalb will er zumindest auf Kaution freikommen, um sich verabschieden zu können. Silva war das nicht vergönnt, weshalb er seine Valentina nicht loslassen kann. Der junge Staatsanwalt (Orestes Fiedler ersetzt Christoph Schechinger) bleibt jedoch hart, denn bei der Explosion ist eine Angestellte ums Leben gekommen, die Anklage lautet daher auch auf Mord. Gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Marcia sucht der Anwalt in den Resten des Gebäudes nach Hinweisen, die Alves entlasten könnten. Tatsächlich stoßen sie auf Details, die die Version des Sachverständigen (Jörn Knebel) erschüttern. Der nimmt die Niederlage sportlich und unterstützt Silva sogar, sodass es dem Anwalt gelingt, die Unschuld seines Mandanten zu beweisen. Der Fall ist gelöst, Alves kommt frei, alle sind zufrieden; einzig Marcia hat noch ein paar Restzweifel und gerät unversehens in Lebensgefahr, als sie nicht locker lässt.
Das Finale sorgt endlich für Spannung, wie ohnehin der letzte Akt zumindest ein bisschen für die vielen Szenen entschädigt, in denen die Darsteller bloß Gespräche führen. Zwischendurch ist der Film schlicht langweilig; letztlich sind es allein die häufigen Schauplatzwechsel, die einen gewissen Handlungsreichtum suggerieren. Verschenkt sind auch die Hauptfiguren. Obwohl Silva sogar bei seiner Mitarbeiterin einziehen muss, weil Wirtin Beatriz (Katharina Pichler) durch seine Schuld ihre Pension verloren hat, passiert nicht viel zwischen den beiden, und das gilt auch für Tarrach und Popov. Am besten ist "Dunkle Spuren" deshalb immer dann, wenn Richter und Schlagenhof, die mehrere Drehbücher für Rainer Kaufmann geschrieben haben (darunter auch eine 2009 mit "Das Beste kommt erst" gestartete Familienfilmreihe), Silva emotional mit der Geschichte verknüpfen. Der Film beginnt auf einer Terrasse über den Dächern der Stadt, der Anwalt bewegt sich gedankenverloren zu portugiesischen Fado-Klängen. Als sich in der Ferne eine Explosion ereignet, bekommt er das gar nicht mit; später wird klar, dass er um seine Frau getrauert hat. Zwei weitere kurze Szenen, als er erst neben dem Grab seiner Frau erwacht und nach einem Schnitt am Rand einer Steilküste steht, verdeutlichen buchstäblich die Fallhöhe der Figur. Entsprechend bewegend ist ein Monolog am Krankenbett von Alves’ Gattin (Filomena Gonçalves), als Silva der Sterbenden eine poetische Liebeserklärung ihres Mannes überbringt und auf diese Weise den Abschied von seiner eigenen Frau nachholt.
Erwähnenswert ist neben der sorgfältigen Bildgestaltung auch die meist sanft im Hintergrund erklingende Musik (Peter Thomas Gromer), die sehr schön die Melancholie des Fado aufnimmt. Die Tonspur sorgt allerdings auch für Dissonanzen, weil es wie in vielen Filmen dieser Art deutliche Differenzen zwischen dem Alltagsdeutsch von beispielsweise Pinto und der Sprechweise der Synchronschauspieler gibt. Auch optisch ist die Besetzung nicht stimmig: Weil die einheimischen Darsteller ausnahmslos sehr südeuropäisch aussehen, fallen die Deutschen alle auf; einzig Popov fügt sich glaubhaft in den portugiesischen Rahmen.