"Ist ein Fest schöner, weil es länger ist?", hat Paula Becker im Sommer 1900 in ihrem Tagebuch notiert und sich vorgenommen: Ihr Leben soll ein Fest sein, kurz und intensiv. Einmal noch die Liebe erleben und drei gute Bilder malen, "dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar". Kurz darauf heiratete sie den Künstlerkollegen Otto Modersohn. Sechs Jahre später starb sie, gerade mal 31, kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes; sie hinterließ 750 Gemälde.
Schlicht "Paula" hat Christian Schwochow sein filmisches Porträt der Malerin Paula Modersohn-Becker genannt, die die Kunstwelt zu einer Zeit erobert hat, als Frauen an den Akademien nicht erwünscht waren. Natürlich durften sie malen, aber nur für den Hausgebrauch und als Zeitvertreib. Dass sie eine Karriere als Künstlerin anstrebten, war undenkbar. Mit Carla Juri, die schon in "Feuchtgebiete" für Aufsehen sorgte, hat Schwochow eine Idealbesetzung gefunden. Die Schweizerin versieht ihre Heldin mit einer frischen Natürlichkeit, die allein schon ein Erlebnis ist. Und natürlich verkörpert sie Paula als moderne freiheitsliebende Frau, die sich um keinerlei Konventionen schert; nicht in gesellschaftlicher und schon gar nicht in künstlerischer Hinsicht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Für Schwochow ist ein Frauenporträt wie "Paula" ein eher ungewöhnliches Werk. Andererseits ist seine Filmografie nicht zuletzt dank seiner vielfach preisgekrönten Kino- und Fernseharbeiten über die DDR und ihr Erbe ("Novemberkind", "Der Turm", "Bornholmer Straße") von historischen Stoffen geprägt. Mit der Ken-Follett-Verfilmung "Die Pfeiler der Macht" hat er zudem gezeigt, dass er gemeinsam mit seinem Stammkameramann Frank Lamm auch große Bilder gestalten kann. Das beweisen die beiden hier vor allem in der ersten Hälfte, als Paula in die Künstlerkolonie Worpswede zieht. Gerade die winterlich nebligen Landschaftsaufnahmen sind von einer Schönheit, die sich kaum in Worte fassen lässt. Mit dem Umzug, als Paula ihrer Freundin Clara Westhoff (Roxane Duran) nach Paris folgt, ändert sich zur zweiten Hälfte die Haltung der Hauptfigur und somit auch die Machart des Films: Paula ist nun keine Suchende mehr, sondern entdeckt ihren eigenwilligen Stil, dem sie ihren Ruf als vielleicht bedeutendste Expressionistin verdankt.
Das Drehbuch ist von Stefan Kolditz, dessen Arbeiten gleichfalls regelmäßig mit den höchsten Preisen dekoriert werden ("Unsere Mütter, unsere Väter"). Er hat gemeinsam mit Koautor Stephan Suschke eine schöne Balance gefunden, sodass "Paula" sowohl das Porträt einer Künstlerin wie auch die Hommage an eine ungewöhnliche Frau ist. Dafür wiederum ist Carla Juri zuständig, weil sie Paula mit Haut und Haar und Leib und Seele verkörpert. Eigensinn, Hartnäckigkeit sowie ein zwar nicht unerschütterlicher, aber doch starker Glaube an das Talent gehören zur Rolle; Juri versieht die Figur darüber hinaus mit einer ansteckenden Lebhaftigkeit und einem verschmitzten Blick, der Paula zu einer sehr modernen Frau macht. Dass sie trotz diverser Ehejahre als Jungfrau in Paris eintrifft, weil Otto Angst hat, seine Frau zu schwängern und im Kindbett zu verlieren, dürfte zwar künstlerische Freiheit sein, beschert dem Film aber einige ansprechend erotische Momente, als sie mit Hilfe eines ansehnlichen Bohemiens (Stanley Weber) die Wonnen der körperlichen Liebe entdeckt.
Die Dominanz der Hauptdarstellerin hat allerdings auch eine Schattenseite. Albrecht Schuch zum Beispiel war in Schwochows "NSU"-Drama "Mitten in Deutschland: Die Täter - Heute ist nicht alle Tage" herausragend, aber er kann sich als Paulas Mann neben Juri kaum profilieren. Gleiches gilt für Joel Basman als Rainer Maria Rilke. Er entspricht dem Dichter zwar altersmäßig, wirkt aber dennoch zu jung für die Rolle. Trotzdem muss "Paula" den Vergleich mit anderen deutschen Künstlerporträts der letzten Jahre, von Dominik Grafs Schiller-Film "Die geliebten Schwestern" bis zu "Goethe!" von Philipp Stölzl, nicht scheuen, im Gegenteil.