Könnte interreligiöser Dialog nicht viel freier geführt werden, wenn die Beteiligten einfach als Glaubende zusammenkämen, und nicht als "Funktionäre" von ihren jeweiligen Religionsgemeinschaften entsandt werden? Dieser Gedanke wuchs in Sandra Scholz, Ökumene-Pfarrerin des Evangelischen Dekanats Rodgau, während sie immer wieder an interreligiösen Räten, runden Tischen und Ökumene-Treffen teilnahm. Gemeinsam mit Janusz Biene vom Integrationsbüro des Kreises Offenbach schuf sie daraufhin das Programm "Glaube. Gemeinsam. Gestalten." als ein interreligiöses Kompetenztraining für junge Menschen im Kreis Offenbach.
Die Idee kam an. Sandra Scholz war überrascht, dass einige der Teilnehmenden auch immer wieder Freunde zum Projekt mitbrachten: "Sie haben hier spannende Erfahrungen gemacht und wollten diese mit ihren Freunden teilen." Das sei eine schöne Entwicklung, habe aber auch dazu geführt, dass das Projekt weniger verbindlich wurde, als Scholz und Biene es im Voraus geplant hatten.
Am Ende entstand eine bunte Mischung aus Protestanten und Katholiken, Juden, Muslimen und Bahá'i. Und es kamen auch immer wieder junge Menschen, die sich in keiner Religionsgemeinschaft verorten. "Die hatte ich zuerst gar nicht auf dem Schirm, aber eine atheistische Position ist eine totale Bereicherung für interreligiöse Gespräche."
Voneinander lernen und Gemeinschaft erleben
Viele der jungen Menschen hatten im Projekt zum ersten Mal Kontakt mit einer der anderen Religionen. Gerade deshalb ist es für die Teilnehmenden auch generell wichtig, dass sie offen und ehrlich miteinander sprechen können. "Am Anfang ist vielleicht noch eine Hemmung da, aber die baut sich irgendwann ab und man kann sehr offen miteinander reden. Man kennt sich inzwischen einfach. Das sind alles freundliche Leute," resümiert Jacob, 21 Jahre alt, aus Offenbach und Jude.
"Ich bin erst hier im Projekt richtig mit dem Judentum in Berührung gekommen," erzählt die Muslima Sema, 24 Jahre, ebenfalls aus Offenbach. "Jacob ist der erste Jude, den ich kennengelernt habe. Ich war auch zum ersten Mal in einer Synagoge. Und ich war überwältigt, was im jüdischen Jugendzentrum "Amichai" in Frankfurt auf die Beine gestellt wird." Jacob wiederum berichtet: "Die Bahá'i sind eine Religionsgemeinschaft, die ich vorher gar nicht kannte. Darüber habe ich in letzter Zeit wahnsinnig viel gelernt. Und das auf einer ganz persönlichen Ebene."
Sandra Scholz ist stolz, dass die jungen Menschen offen miteinander reden und einander viele Fragen stellen – eben miteinander Gemeinschaft erleben. So erlernten sie den Umgang mit Menschen, die eine andere Religion haben als sie selbst, meint Scholz. Und das geschehe eben nicht theoretisch, sondern erfahrungsbezogen. "Das vergisst man nicht so schnell!" Ihr selbst sei besonders eindrücklich das gemeinsame Fastenbrechen beim vergangenen Ramadan in Erinnerung geblieben.
Ihre Hoffnung, dass durch das Programm ein Netzwerk entstehen könne, in dem die Teilnehmenden ihre Religiosität als Gemeinsamkeit entdecken, scheint wahr zu werden. Inzwischen seien Freundschaften zwischen den Teilnehmenden entstanden und man könne auch offen über Vorurteile ins Gespräch kommen. "Ehrliche Gespräche kommen dann zustande, wenn mehr Vertrautheit da ist. Man spürt einfach, ob einem jemand authentisch begegnet," meint Scholz.
Die 19jährige Christin Tess aus Langen findet es toll, Gleichaltrige aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften kennenzulernen. "Ich hatte bisher keine Freunde mit einem anderen Glauben als ich. Fast alle Menschen in meinem näheren Umfeld sind Christen. Oder sie glauben überhaupt nicht an Gott." Die Treffen würden ihr dabei helfen, diese Schranken zu öffnen und Grenzen abzubauen, die sie bisher kaum wahrgenommen habe: "Manchmal sitzen wir hier in der Gruppe zusammen und lachen einfach über das Gleiche. Egal wie wir glauben und woher wir kommen, oder ob wir überhaupt an etwas glauben - jenseits davon kann man trotzdem immer wieder auf einen gemeinsamen Nenner kommen."
Sema ist überzeugt davon, dass bei den Begegnungen immer wieder Vorurteile abgebaut werden: "Wenn ich auf der Straße ein Kopftuch trage, sehen andere Menschen in mir nur die Muslima. Ich bin dann für sie Repräsentantin einer ganzen Religionsgemeinschaft und kein Individuum mehr," berichtete sie im Workshop. Auch Tess hat einmal ähnliche Erfahrungen gemacht: "Als ich in Kambodscha war, wurde ich von einigen TucTuc-Fahrern angesprochen, was meine liebste Geschichte über Jesus ist. Ich war in dem Moment nur die Christin für sie." Beide schätzen den Erfahrungsaustausch in der Gruppe sehr.
Gemeinsam mit den Teilnehmenden der letzten beiden Jahre überlegen Sandra Scholz und Janusz Biene nun, wie das Programm weitergehen kann. "Wir wollen das Projekt in Zukunft auf breitere Füße stellen. Dazu brauchen wir junge Menschen aus den verschiedenen Religionsgemeinschaften, die selbst auch Verantwortung übernehmen."