Der Aufruf zum Kampf gegen die Terrormiliz IS kam von unerwarteter Seite. "Ein sogenannter Islamischer Staat ist in unserem Land aufgetaucht", erklärte Ali Rage, Sprecher von Al-Shabaab, der größten islamistischen Terrormiliz in Afrika. In der Aufzeichnung von Mitte Dezember fordert er, das "Krebsgeschwür auszumerzen". Es sind etwa 150 Bewaffnete, die im Nordosten Afrikas einen "Islamischen Staat in Somalia" gegründet haben. Al-Shabaab dagegen befehligt Schätzungen zufolge 4.500 Kämpfer. Doch die Angst vor dem IS ist groß. Denn die Terrorgruppe wächst - nicht nur in Somalia, sondern in ganz Afrika.
Der IS breitet sich in Afrika aus
Auch im westafrikanischen Mali, das Außenminister Heiko Maas (SPD) an diesem Mittwoch und Donnerstag besucht, kämpft eine Zelle des "Islamischen Staates". Ausgerufen hat sie im Mai 2015 Adnan Abu Walid Al-Sahrawi, die damalige Nummer 2 der Terrorgruppe Al-Murabitoun. Zwei Monate zuvor hatte Al-Murabitoun einen Anschlag auf ein Restaurant in der malischen Hauptstadt Bamako verübt, im November 2015 nahm sie im dortigen Radisson Blu Hotel 170 Geiseln. Im Januar 2017 reklamierte die Gruppe ein Attentat auf eine malische Militärbasis in Gao für sich, bei dem 77 Menschen getötet wurden. In Gao ist auch die Bundeswehr stationiert. Al-Murabitoun gehört zu ihren gefährlichsten Gegnern.
Zum IS gehört die Gruppe allerdings nicht. Denn kurz nach Al-Sahrawis Treueschwur widersprach der Gründer und Anführer von Al-Murabitoun, Mokhtar Belmokhtar, Al-Sahrawi. Es kam zur Spaltung. Für den "Islamischen Staat in der Großsahara" kämpfen seither über 400 Terroristen. Al-Murabitoun, seit März 2017 Teil des zu Al-Kaida gehörenden Terrorbündnisses Nusrat al-Islam oder GSIM, soll doppelt so stark sein. Trotzdem hat Al-Sahrawis IS-Zelle mit Attentaten von sich reden gemacht, etwa im September 2016 im Grenzgebiet zwischen Burkina Faso, Niger und Mali. Im Oktober 2017 töteten seine Kämpfer vier Soldaten einer US-Anti-Terroreinheit in Niger.
Nach Berechnungen der US-Militärakademie in West Point kämpfen in Afrika derzeit mehr als 6.000 Männer unter dem IS-Banner. Mehr als die Hälfte, 3.500, gehören zum "Islamischen Staat der Provinz Westafrika", kurz ISWAP, bekannt als Boko Haram. Seit August 2016 ist ISWAP gespalten, zwei Fraktionen kämpfen gegeneinander. Die jüngere der beiden, die offiziell vom IS anerkannt ist, wird für die erfolgreiche Offensive der vergangenen Monate verantwortlich gemacht, bei der Hunderte nigerianische Soldaten getötet wurden.
Verfestigte Machtstrukturen
Die Gründe dafür, dass der IS sich als zweite Generation des globalen Dschihadismus in Afrika ausbreitet, sind hausgemacht. Die zu Al-Kaida gehörenden Gruppen wie Al-Shabaab oder GSIM zählen mittlerweile zum Establishment des Terrors in Afrika. Fast zwei Jahrzehnte nach dem 11. September 2001 sind die Machtstrukturen der einst als revolutionär auftretenden Gruppen verfestigt.
In Somalia teilt sich Al-Shabaab die Einnahmen aus illegalen Geschäften auch mit dem Staat und Einheiten der afrikanischen Amison-Truppen, die die Islamisten eigentlich bekämpfen sollen. Die Terrorgruppe ist etablierter Partner eines mafiösen Patronagesystems, das Erlöse aus Schmuggel und Schutzgelderpressung zwischen den Mächtigen aufteilt. Auch in Mali und im Rest der Sahara ist mit dem Schmuggel von Zigaretten, Drogen, Waffen und Flüchtlingen viel Geld zu verdienen. Dieses Geschäft kontrollieren etwa die Terrorgruppen wechselnden Namens um Mokhtar Belmokhtar, der als Schmuggelkönig nicht umsonst den Ehrentitel "Mr. Marlboro" trägt.
Und so war die Gründung von IS-Zellen durch Abdulqadir Mumin in Somalia und Adnan Abu Walid Al-Sahrawi in Mali auch ein Putsch gegen die bisherige Machtelite zu einem Zeitpunkt, als sich der IS mit der Eroberung von Palmyra in Syrien und Ramadi im Irak auf seinem Höhepunkt befand. Der Name aus den Schlagzeilen garantierte maximale Angst in der Bevölkerung und große Anziehungskraft für Mitstreiter.
Die wachsende Stärke des "Islamischen Staates" in Afrika droht, eine neue Eskalation der Gewalt zu befeuern. Die etablierten Islamisten werden, wie die Kriegserklärung von Al-Shabaab gegen den somalischen IS-Ableger zeigt, nicht kampflos aufgeben. Im Propagandakrieg werden sich zudem beide Lager bemühen, möglichst spektakuläre Anschläge zu verüben - auf Kosten der Zivilbevölkerung.