Andererseits hat das Beispiel "Der Kommissar und das Meer" gezeigt, wie gut es einer Reihe tun kann, wenn ein renommierter Regisseur wie Miguel Alexandre mehrere Filme hintereinander inszeniert. Roland Suso Richter, dank Prestigeproduktionen wie "Der Tunnel", "Dresden" oder "Mogadischu" einer der wichtigsten deutschen Fernsehregisseure, hat den ARD-"Zürich-Krimi" mit seiner Episode "Borchert und die letzte Hoffnung", einer berührenden Geschichte über Sterbehilfe, auf ein neues Niveau gehoben. Sein zweiter Beitrag, "Borchert und die Macht der Gewohnheit", erreichte zwar keine vergleichbare Emotionalität, aber das lag vor allem am Thema. Die Bildgestaltung, ohnehin stets ein Qualitätsmerkmal von Richters Arbeit, war in beiden Fällen herausragend. Es war also schon mal eine gute Idee, dem Regisseur und seinem Kameramann Max Knauer auch die Episoden fünf und sechs anzuvertrauen. Der Autorenwechsel nach dem enttäuschenden Auftakt 2016 – seither sind alle Drehbücher von Wolf Jakoby geschrieben worden – hat sich ohnehin ausgezahlt.
"Borchert und die mörderische Gier", der fünfte Film der Reihe, beginnt auch dank der Thriller- Musik von Michael Klaukien und Andreas Lonardoni ziemlich furios: Ein junger Mann rast mit seinem Motorrad durch die Zürcher Innenstadt. Er will zur Anwaltskanzlei von Thomas Borchert (Christian Kohlund) und seiner Partnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink), aber soweit kommt er nicht, denn kurz vor dem Ziel wird er lebensgefährlich verletzt. Die Aufnahmen einer Taxikamera legen nahe, dass der vermeintliche Unfall absichtlich herbeigeführt worden ist. Borcherts Recherchen ergeben, dass der Kunststudent ein großes Interesse für Orientalistik entwickelt hat und womöglich an falsche Freunde geraten ist. Der Anwalt findet Hinweise, die zumindest den Verdacht nahelegen, dass Julian Stolz (Justus Czaja), der seit dem Unfall im Koma liegt, Kontakt zu Islamisten hat; außerdem ist er in letzter Zeit auffallend oft in den Nahen Osten geflogen. Eine Erklärung für seine Sinnsuche bietet Jakoby ebenfalls an: Julian ist ohne Vater aufgewachsen; das erhöht offenbar die Anfälligkeit für radikale Angebote. Als Borchert entdeckt, dass Julians angeblich unbekannter Erzeuger (Kai Wiesinger), ein vermögender Unternehmer, seit Kurzem eine große Rolle im Leben des jungen Mannes spielt, ändern sich die Parameter. Der Anwalt ist ohnehin überzeugt, dass Julian kein Terrorist ist; dennoch gerät er gemeinsam mit Vater und Sohn ins Visier einer islamistischen Terrormiliz.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Trotz des temporeichen Auftakts ist "Borchert und die mörderische Gier" ein klassischer Krimi, zumal der Titelheld eher wie ein Privatdetektiv agiert. Für Actionszenen wäre Kohlund, mittlerweile an die siebzig, ohnehin zu alt, zumal er den Anwalt tiefenentspannt verkörpert. Dynamik gibt es dank manch’ schwungvoller Kamerafahrt, Julians Unfall und einer Verfolgungsjagd durch ein Parkhaus dennoch. Jakobys Drehbuch erzählt die Geschichte auf reizvoll verrätselte Weise und sorgt mit den verschiedenen oft nur angedeuteten Hintergründen für eine Komplexität, die dem Film eine große Handlungsdichte beschert. Dass im Gegenzug die Rolle von Borcherts Freundin gestrichen worden ist, war dagegen konsequent; deren Stippvisiten hatten im letzten Film überhaupt keinen Bezug zur Handlung. Ein wesentlich plausibler integrierter Ersatz sind die Zwiegespräche, die der Anwalt mit seinem persönlichen Chauffeur Bürki führt, zumal Andrea Zogg den Taxifahrer als lebensklugen Ratgeber verkörpert. Ein biografisches Element sorgt dafür, dass Borcherts besonderes Engagement für Julian nachvollziehbar wird: Er hat vor zehn Jahren seinen eigenen Sohn durch einen Autounfall verloren; seine Frau hat den Verlust nicht verkraftet und sich das Leben genommen.
Kein Wunder, dass Kanzleipartnerin Dominique Kuster, von Ina Paule Klink ohnehin eher distanziert verkörpert, deutlich emotionsloser wirkt; die die Beziehung zu Hauptmann Furrer (Felix Kramer), die sich schon seit einigen Episoden anbahnt, ist da nur ein schmaler Ersatz. Beim ersten Date der beiden zeigt sich allerdings, wie Richter und Knauer visuell arbeiten. "Borchert und die mörderische Gier" ist auch dank Ausstattung und Kostümbild überwiegend in Blaugrau gehalten, was die Bilder kühl, aber auch hochwertig erscheinen lässt. Als sich Dominique mit Furrer trifft, gibt es dank diverser bunter Lichtinseln ein regelrechtes Farbenfeuerwerk. Nur bedingt ins ästhetische Konzept passen daher die Rückblenden, denn die freundlichen hellen Töne stehen in klarem Kontrast zu dem Streit zwischen Lisa Stolz (Valery Tscheplanowa) und ihrem Sohn, als Julian durch Zufall mitbekommt, dass seine Mutter sehr wohl weiß, wer sein Vater ist. Dessen Besetzung mit Kai Wiesinger knüpft an die einst äußerst fruchtbare Zusammenarbeit von Schauspieler und Regisseur an, die 1996 mit dem Kinothriller "14 Tage lebenslänglich" begonnen hat; es folgten "Nichts als die Wahrheit" (1999) und "Dresden" (2006). Mittlerweile ist es etwas ruhiger um Wiesinger geworden; seine letzte wirklich bemerkenswerte Rolle hat er in Thomas Schadts formidablem Dokudrama "Der Rücktritt" (Sat.1 2014) über das Ende von Christian Wulffs Amtszeit als Bundespräsident gespielt.