Das Autorentrio Scarlett Kleint, Alfred Roesler-Kleint und Michael Vershinin hat auch die bisherigen Drehbücher über die kantige Ex-Staatsanwältin Lossow (Katrin Sass) und ihre Tochter Julia Thiel (Potthoff) geschrieben und beschert der Kommissarin einen zwar schmerzlichen, aber würdigen Abschied. "Winterlicht", inszeniert von Uwe Janson, beginnt ohne Vorgeschichte: Julia observiert ein Haus in der Wildnis, wird entdeckt, flieht, stürzt an der Steilküste ab und verbringt den Rest des Films als Gefangene. Natürlich macht sich Ehemann Stefan (Peter Schneider) Sorgen und beginnt gemeinsam mit der Schwiegermutter, nach seiner Frau zu suchen. Die beiden finden raus, dass die vom Polizeidienst beurlaubte Julia einen privaten Ermittlungsauftrag angenommen und nach einem verschwundenen Mann gesucht hat. Dieser Bahrmann hat für einen Rockerclub gearbeitet und sich als bekennender Neonazi bei den polnischen Partnern der Gruppe nicht gerade beliebt gemacht. Die Spur führt nach Stettin, wo Lossow und ihr Schwiegersohn in ein kompliziertes Geflecht aus Drogenhandel und Prostitution geraten; derweil ist die schwerverletzte Julia ihrem vierschrötigen Bewacher hilflos ausgeliefert.
"Winterlicht" macht seinem Titel dank der sorgfältigen Kameraarbeit durch Philipp Sichler alle Ehre macht. Der Film ist im März 2017 gedreht worden, die Aufnahmen sind von kalter Schönheit; mit Ausnahme der letzten Episode ("Trugspur") haben die Regisseure bislang stets dafür gesorgt, dass Usedom möglichst unwirtlich wirkte. Uwe Janson, der unter anderem für Sat.1 die Satiren "Der Minister", "Die Schlikkerfrauen" und zuletzt den Uli-Hoeneß-Film "Die Udo Honig Story" gedreht hat, steht ohnehin für eine oft bemerkenswerte Bildgestaltung seiner Filme; mit Sichler dreht er regelmäßig. Aber natürlich nützen auch die eindrucksvollsten Bilder nichts, wenn die Geschichte nicht fesselt. Weil Lossow und Thiel bei ihren entsprechend spannungsarmen Nachforschungen etwas auf der Stelle treten, trifft es sich gut, dass die neue Hauptfigur viel Leben in die Reihe bringt.
Die Usedom-Krimis werden in Zukunft also ohne die Scharmützel zwischen Mutter und Tochter auskommen müssen, zumal die gelassene Dänin Ellen Norgaard (Rikke Lylloff) ein völlig anderer Typ ist als Julia Thiel. Sie bringt eine Vorgeschichte mit, die das Autorentrio zunächst jedoch nur andeutet: Ihre Mutter hat einst auf Usedom gelebt, sie selbst ist hier zur Welt gekommen, und offenbar gibt es da ein Ereignis, das bis heute nicht verarbeitet ist. Sie wendet sich an Lossow, um deren Ferienwohnung zu mieten, aber die ehemalige Staatsanwältin ist plötzlich sehr kurz angebunden, als sie erfährt, um wen es sich bei dem Neuankömmling handelt. Ellen zieht erst mal in einen umgebauten Bauwagen, aber der wird von einem der Wisente umgeworfen, um die sich Lossow als Tierpflegerin kümmert; jetzt muss sie die Polizistin doch noch bei sich aufnehmen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Dänin Rikke Lylloff ist eine interessante Wahl als neue zweite Hauptfigur. Sie erinnert ein bisschen an Sarah Jessica Parker und ist allein schon wegen ihres Akzents sympathisch. Außerdem darf sie als neue Kommissarin sehr cool agieren: Auf den Wisent-Angriff reagiert sie vergleichsweise gelassen, den Fund des verschwundenen Nazis, dessen Körper in eine Schiffschraube geraten ist, kommentiert sie ziemlich trocken, und als ein polnischer Rocker das Foto des Mannes bespuckt, wischt sie den Speichel kurzerhand an seiner Kutte ab. Ähnlich reizvoll wie die Einführung der neuen Hauptdarstellerin sind die optische und die akustische Ebene des Films. Immer wieder zeigen Janson und Sichler das Geschehen aus einer vertikalen Vogelperspektive, was die Landschaft noch trostloser und Julia Thiel bei ihrer Flucht noch verlorener erscheinen lässt. Im Kontrast zu den Aufnahmen aus luftiger Höhe gibt es gegen Ende eine Szene, die durch die Wahl des Aufnahmewinkels umso erschütternder wirkt. Auch für das Schlussbild haben die Beteiligten eine ebenso schlüssige wie bewegende Form gefunden. Kongenial ist die Arbeit von Colin Towns, der bislang die Musik zu allen "Usedom"-Episoden geschrieben hat und es vortrefflich versteht, ständig drohendes Unheil in der Luft liegen zu lassen. Aber auch das Sounddesign hat mit seiner Geräuschkulisse von bremsenden Zügen bis zum Wind, der um eine Hütte heult, großen Anteil daran, dass "Winterlicht" kein Film zum Wohlfühlen ist.